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Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Titel: Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Brunnen zu; aber der Abdecker zerrte ihn zurück und sagte: »Das brauchst du nicht mehr.«
    Der Abdecker und Waska, der ihnen gefolgt war, kamen mit ihm zu einer hinter dem Ziegelschuppen liegenden kleinen Schlucht und blieben dort stehen, als ob es mit diesem ganz gewöhnlichen Platz eine besondere Bewandtnis hätte. Der Abdecker übergab Waska die Zügel, zog seinen Rock aus, krempelte die Hemdsärmel auf, langte aus dem Stiefelschaft ein Messer und einen Schleifstein hervor und begann, das Messer daran zu schärfen. Der Wallach reckte sich mit dem Hals nach den Zügeln, um aus Langeweile an ihnen zu kauen; da sie aber zu weit weg waren, stieß er einen Seufzer aus und schloss die Augen. Seine Unterlippe sank herab und legte die gelben Zahnstummel bloß, und er schlummerte unter dem Klang des Messerschleifens ein. Nur sein krankes angeschwollenes Bein, das er ein wenig vorgestellt hatte, zuckte noch von Zeit zu Zeit. Plötzlich spürte er, dass ihn jemand an der unteren Kinnlade packte und seinen Kopf emporhob. Er schlug die Augen auf und nahm vor sich zwei Hunde wahr. Der eine von ihnen hatte die Nase schnuppernd in Richtung auf den Abdecker ausgestreckt, während der andere dasaß, den Wallach anblickte und gerade von ihm etwas zu erwarten schien. Der Wallach betrachtete die Hunde und begann, den Kiefer an der Hand zu reiben, die ihn festhielt.
    Sie wollen mich wohl kurieren, dachte er. Nun, sollen sie!
    Nun spürte er auch wirklich, dass an seiner Kehle etwas vorgenommen wurde. Er empfand einen Schmerz, zuckte zusammen und wankte, konnte sich jedoch aufrecht halten und beschloss abzuwarten, was weiter geschehen würde. Als Nächstes spürte er, daß sich irgendeine Flüssigkeit in breitem Strom über seinen Hals und seine Brust ergoß. Er holte tief Atem und fühlte sich auf einmal erleichtert. Ihm war, als sei die ganze Schwere seines Lebens von ihm genommen. Er schloss die Augen und ließ den Kopf sinken – niemand stützte ihn. Dann senkte sich der Hals, seine Beine begannen zu zittern, und der ganze Körper schwankte. Er war weniger erschrocken als verwundert. Das war ihm alles so neu. Er konnte nichts begreifen, bäumte sich auf und wollte sich vorwärts stürzen. Doch sobald er die Beine vom Boden gelöst hatte, strauchelte er, verlor das Gleichgewicht und sank, als er sich weiterbewegen wollte, nach vornüber und dann auf die linke Seite zu Boden. Der Abdecker wartete, bis sich die letzten Zuckungen gelegt hatten, trieb die sich nähernden Hunde zurück und drehte den Wallach, ihn an den Beinen fassend, auf den Rücken um. Dann ließ er Waska die Beine halten und begann, das Fell abzuziehen.
    »War auch mal ein gutes Pferd«, bemerkte Waska.
    »Wenn er besser bei Leibe gewesen wäre, dann wäre es ein feines Fell«, sagte der Abdecker.
    Als die Herde abends den Abhang herunterkam, sahen die links am Rand gehenden Pferde in der Schlucht eine rote Masse liegen, an der sich Hunde zu schaffen machten und über der Raben und Geier kreisten. Einer der Hunde stemmte sich mit den Pfoten gegen den Kadaver und riss aus ihm, den Kopf hin und her bewegend, unter Geknirsch ein Stück heraus, in das er sich festgebissen hatte. Die braune Stute blieb stehen, streckte den Kopf und den Hals vor und zog lange die Luft ein. Sie war nur mit Gewalt von der Stelle zu bringen.
    Beim Morgengrauen war auf dem Grunde der von Gestrüpp überwucherten Schlucht des alten Waldes das freudig erregte Geheul junger Wölfe zu hören. Es waren im ganzen fünf: vier fast gleich große und ein noch ganz kleiner, dessen Kopf größer war als der Rumpf. Eine ausgemergelte, sich haarende Wölfin kam, den aufgeblähten Bauch mit den tief herabhängenden Zitzen über die Erde schleifend, aus dem Gebüsch und setzte sich gegenüber den jungen Wölfen hin. Die jungen Wölfe stellten sich im Halbkreis vor ihr auf. Sie ging auf den kleinsten zu, ließ sich auf die Knie nieder, beugte den Kopf bis zur Erde hinunter, sperrte den Rachen auf, dass die spitzen Zähne sichtbar wurden, und würgte unter krampfartigen Bewegungen ein großes Stück Pferdefleisch heraus. Die vier schon etwas älteren Wölflein drängten sich an sie heran, aber sie wehrte sie drohend ab und ließ das ganze Stück dem kleinsten zukommen. Der bemächtigte sich des Fleisches, legte sich zornig knurrend darauf und begann zu fressen. In der gleichen Weise würgte die alte Wölfin auch jedem ihrer übrigen Jungen ein Stück Pferdefleisch heraus und legte sich dann vor sie hin, um

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