Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
Telegraph, der wittert alles eine Werst weit.«
Und wirklich, es war noch keine halbe Stunde verstrichen, als vor ihnen eine schwarze Linie – ein Wald oder ein Dorf – auftauchte und rechter Hand wieder Absteckpflöcke sichtbar wurden. Sie waren offensichtlich auf einen Weg gekommen.
»Das ist ja wieder Grischkino!«, rief Nikita plötzlich. Tatsächlich, sie erblickten jetzt linker Hand wieder jene Getreidedarre, von deren Dach der Schnee herabwehte, und kamen wieder an dem Hof vorbei, auf dem an einer Wäscheleine die steif gefrorenen Hemden und Hosen hingen und ebenso wie vorhin vom Wind gepeitscht wurden.
Abermals fuhren sie die Dorfstraße entlang, abermals wurde es still, warm und behaglich, abermals sahen sie den von einer Fuhre herabgefallenen Mist, abermals hörten sie Stimmen und Gesang, und abermals begann ein Hund zu bellen. Mittlerweile war es so dunkel geworden, dass in manchen Häusern schon Licht brannte.
Von der Mitte der Straße lenkte Wassili Andrejitsch das
Pferd zu einem großen doppelstöckigen Ziegelhaus und hielt vor der Außentreppe an.
Nikita ging an ein verschneites erleuchtetes Fenster heran, in dessen Schein die durch die Luft wirbelnden Schneeflocken glitzerten, und klopfte mit dem Peitschenstiel.
»Wer da?«, ertönte daraufhin von drinnen eine männliche Stimme.
»Aus Kresty, vom Brechunowschen Gehöft sind wir, guter Mann«, antwortete Nikita. »Komm doch mal einen Augenblick heraus!«
Der Mann drinnen trat vom Fenster zurück, und gleich darauf war zu hören, wie die Tür zum Flur knarrte und der Riegel an der Außentür zurückgeschoben wurde. Die halbgeöffnete Tür gegen den Wind festhaltend, blickte ein weißbärtiger alter Bauer heraus, der seine Pelzjoppe über das weiße Feiertagshemd geworfen hatte und hinter dem ein junger Bursche in rotem Kittel und Lederstiefeln stand.
»Bist du es, Andrejitsch?«, fragte der Alte.
»Ja, wir haben uns verirrt, guter Freund«, antwortete Wassili Andrejitsch. »Wir wollten nach Gorjatschkino, sind aber falsch gefahren und vorhin schon mal zu euch hergeraten. Als wir dann umkehrten, sind wir wieder vom Weg abgekommen und aufs Neue hier gelandet.«
»Na, da seid ihr ja tüchtig herumgeirrt«, sagte der Alte.
»Petruscha, geh, mach das Tor auf!«, wandte er sich an den jungen Burschen im roten Kittel.
»Wird gemacht!«, antwortete der junge Bursche fröhlich und lief in den Flur zurück.
»Wir wollen hier nicht übernachten, guter Freund«, sagte Wassili Andrejitsch.
»Wo wollt ihr jetzt noch hin, es ist schon spät. Bleibt doch zur Nacht hier.«
»Das würde ich gern tun, aber ich muss gleich weiter. Die Geschäfte drängen, Freund, es geht nicht.«
»Nun, dann wärme dich wenigstens auf, der Samowar ist gerade fertig«, schlug ihm der Alte vor.
»Ja, etwas aufwärmen, das könnten wir uns wohl«, meinte Wassili Andrejitsch. »Dunkler wird’s nicht werden, und wenn der Mond aufgeht, hat man’s sogar heller … Was meinst du, Nikita, sollen wir einkehren, uns aufwärmen?«
»Das können wir machen«, antwortete Nikita, der ganz durchgefroren war und sich sehnlichst wünschte, in der Wärme seine erstarrten Glieder aufzutauen.
Wassili Andrejitsch ging mit dem Alten ins Haus, und Nikita fuhr durch das von Petruschka geöffnete Tor und lenkte das Pferd auf dessen Anweisung unter das Schutzdach der Scheune. In der Scheune war Mist angehäuft, und das hohe Krummholz stieß gegen eine Querstange. Auf der Querstange hatten sich schon die Hühner und ein Hahn zur Nacht niedergelassen, sie brachen jetzt in ein unzufriedenes Gegacker aus und umklammerten mit ihren Pfoten ängstlich die Stange. Die aufgescheuchten Schafe stampften mit den Hufen über den gefrorenen Mist und drängten sich zur Seite. Ein kleiner Köter heulte erschrocken auf und kläffte nach Art junger Hunde aufgeregt den Fremdling an.
Nikita redete allen Tieren gut zu. Er entschuldigte sich bei den Hühnern und beruhigte sie mit der Versicherung, er werde sie nicht weiter stören; er warf den Schafen vor, dass sie sich ganz grundlos ängstigten, und versuchte, während er das Pferd anband, den unaufhörlich kläffenden kleinen Köter zu beschwichtigen.
»So, jetzt ist’s gut«, sagte er, als er mit dem Pferd fertig war, schüttelte den Schnee von sich ab und wandte sich dem Hund zu. »Sieh mal an, was für Krakeel du machst!«, sagte er zu ihm. »Nun, hör schon auf, hör schon auf, du Dummer! Brauchst dich nicht aufzuregen, wir sind keine Diebe, sind
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