Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
Freunde…«
»Das ist schon so, wie es von den drei häuslichen Ratgebern heißt«, sagte der junge Bursche, während er mit seinen kräftigen Händen den noch draußen stehenden Schlitten unter das Schutzdach schob.
»Von was für Ratgebern?«, fragte Nikita.
»Im Buch von Pulson steht: Schleicht sich ein Dieb ans Haus heran, bellt der Hund, das heißt, pass auf; wenn der Hahn kräht, heißt das, man muss aufstehen; wenn die Katze sich putzt, heißt das, ein lieber Gast ist unterwegs, und du sollst dich vorbereiten, ihn zu bewirten«, erklärte der Bursche lächelnd.
Petruscha, der des Lesens und Schreibens kundig war, kannte fast den ganzen Pulson auswendig – das einzige Buch, das er besaß –, und er liebte es, namentlich wenn er, wie eben heute, leicht berauscht war, aus dem Buch die für die jeweilige Gelegenheit passend scheinenden Stellen zu zitieren.
»Ja, das stimmt«, sagte Nikita.
»Du bist wohl tüchtig durchgefroren, Onkelchen?«, fuhr Petruscha fort.
»Na ja, etwas durchgefroren ist man schon«, antwortete Nikita, und beide gingen über den Hof in den Flur und von dort in die Stube.
4
Das Gehöft, in das Wassili Andrejitsch eingekehrt war, gehörte zu den ansehnlichsten des Dorfes. Die Familie bewirtschaftete fünf zugeteilte Parzellen und hatte noch Land hinzugepachtet. Auf dem Hof gab es sechs Pferde, drei Kühe, zwei Kälber und etwa zwanzig Schafe. Die Familie zählte im Ganzen zweiundzwanzig Mitglieder: vier verheiratete Söhne, sechs Enkel, von denen Petruscha auch schon verheiratet war, drei Waisen und vier Schwiegertöchter mit ihren Kindern. Es war einer der wenigen bis jetzt noch ungeteilten Bauernhöfe; doch auch hier schwelte im Verborgenen bereits ein Funke der Zwietracht, der wie gewöhnlich von den Frauensleuten ausging und über kurz oder lang zur Aufteilung des Besitzes führen musste. Zwei Söhne arbeiteten in Moskau als Wasserfahrer, einer war beim Militär. Im Hause befanden sich im Augenblick der alte Bauer und seine Frau, der zweite, die Wirtschaft leitende Sohn, der zu den Feiertagen aus Moskau gekommene Sohn, alle Schwiegertöchter mit den Kindern und außerdem als Gäste ein Nachbar und ein Gevatter.
In der Stube hing über dem Tisch eine von oben abgeschirmte Lampe und beleuchtete mit hellem Schein das nebst einer Flasche Schnaps und einem Imbiss auf dem Tisch stehende Teegeschirr, die Ziegelwände und die in der vorderen rechten Ecke hängenden Ikonen und Bilder. Wassili Andrejitsch, der den Reisepelz abgelegt hatte, saß in einer schwarzen Pelzjoppe am oberen Ende des Tisches, kaute an seinem hartgefrorenen Schnurrbart und ließ die Blicke seiner vorstehenden Habichtsaugen über das Zimmer und alle Anwesenden schweifen. Außer Wassili Andrejitsch saßen am Tisch der weißbärtige, kahlköpfige alte Hausherr im hausgewebten weißen Kittel, der kräftig gebaute, mit einem leichten Kattunhemd bekleidete Sohn, der zu den Feiertagen aus Moskau gekommen war, dessen breitschultriger, älterer Bruder, der zur Zeit die Wirtschaft führte, und der hagere rotbärtige Nachbar.
Die Männer, die vorher Schnaps getrunken und einen Imbiss zu sich genommen hatten, wollten jetzt zum Teetrinken übergehen; der neben dem Ofen auf dem Fußboden stehende Samowar summte schon. Auf den Schlafböden und auf dem Ofen sah man Kinder hocken. Eine Frau saß, über eine Kinderwiege gebeugt, auf einer Pritsche. Die greise Hausfrau, deren Gesicht kreuz und quer von winzigen, sich bis über die Lippen erstreckenden Runzeln durchzogen war, bemühte sich um Wassili Andrejitsch.
Als Nikita in die Stube kam, hatte sie gerade ein klobiges Gläschen mit Schnaps gefüllt und brachte es Wassili Andrejitsch.
»Verschmäh es nicht, ein Gläschen zu Ehren des Festtages zu trinken, Wassili Andrejitsch«, sagte sie. »Greif zu, mein Guter!«
Der Anblick und Geruch des Schnapses verwirrten Nikita sehr, besonders jetzt, wo er durchgefroren und erschöpft war. Er schüttelte mit finsterer Miene den Schnee von Mütze und Mantel ab, stellte sich, als sähe er niemanden von den Anwesenden, vor die Heiligenbilder, bekreuzigte sich dreimal und verneigte sich vor ihnen, wandte sich dann um und verneigte sich nun auch der Reihe nach vor dem greisen Hausherrn, vor allen am Tisch sitzenden Personen sowie vor den am Ofen stehenden Frauen und sagte dabei jedes Mal: »Gesegne tes Fest!« Dann zog er den Mantel aus, vermied es aber, auf den Tisch zu blicken.
»Na, du bist ja tüchtig vereist, Onkel«, meinte der
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