Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Titel: Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
und das Klatschen des Schnees gegen die Außenwand des Schlittens.
    Nikita saß die ganze Zeit, seit dem Abend, in derselben Stellung, rührte sich nicht und antwortete nicht einmal, als er zweimal von Wassili Andrejitsch angerufen wurde. Er macht sich wenig Sorge und schläft wahrscheinlich, dachte Wassili Andrejitsch ärgerlich, als er über den Schlittenrand auf den mit Schnee überhäuften Nikita schaute.
    Wohl zwanzigmal schon hatte sich Wassili Andrejitsch aufgerichtet und wieder hingelegt. Es schien ihm, diese Nacht wolle überhaupt kein Ende nehmen. Aber jetzt muss es bald Morgen werden, dachte er, als er sich wieder erhob und Umschau hielt. Ich will mal nach der Uhr sehen. Mir wird zwar beim Öffnen des Pelzes kalt werden, aber wenn ich dann weiß, dass es schon auf den Morgen zugeht, wird mir dafür auch wohler zumute sein. Da können wir bald mit dem Anspannen beginnen … Im Grunde seiner Seele wusste Wassili Andrejitsch, dass es noch gar nicht Morgen sein konnte, aber er wurde immer mutloser, täuschte sich selbst etwas vor und wollte sich zugleich auch vergewissern, wie viel Uhr es in Wirklichkeit war. Er löste sorgfältig die Haken an seinem Pelz, steckte die Hand hinein und nestelte lange herum, bis er zur Weste durchdrang. Endlich zog er seine mit emaillierten Blumen verzierte silberne Uhr hervor und warf einen Blick darauf. Ohne Licht war nichts zu sehen. Er legte sich wieder ebenso wie vorhin, als er sich eine Zigarette angezündet hatte, bäuchlings in den Schlitten, stützte sich auf die Ellenbogen, holte Streichhölzer hervor und schickte sich an, eins anzuzünden. Jetzt ging er mit mehr Überlegung ans Werk, er befühlte die Streichhölzer zuerst mit den Fingern und zog das mit dem dicksten Kopf heraus, das auch gleich beim ersten Streich Feuer fing. Dann hielt er die Uhr dicht an die Flamme, blickte auf das Zifferblatt – und traute seinen Augen nicht: Es war erst zehn Minuten nach zwölf! Die ganze Nacht stand noch bevor.
    Ach, wie lang so eine Nacht ist!, dachte Wassili Andrejitsch zusammenschauernd; er hakte wieder seinen Pelz zu, hüllte sich ein und drückte sich aufs Neue in die Schlittenecke, um dort geduldig auf den Morgen zu warten. Da hörte er plötzlich in dem eintönigen Pfeifen des Windes ganz klar einen neuen, lebendigen Laut. Dieser Laut schwoll langsam an und schwächte sich, sobald er am deutlichsten war, ebenso langsam wieder ab. Es gab keinen Zweifel, das war das Heulen eines Wolfes. Und der Wolf konnte gar nicht sehr weit entfernt sein, weil man, vom Wind herübergetragen, deutlich hörte, wie seine Kinnladen knirschten, wenn er den Ton seiner Stimme änderte.
    Wassili Andrejitsch schlug den Kragen zurück und horchte gespannt. Muchorty spitzte die Ohren und horchte ebenso gespannt, trat dann, als der Wolf sein Klagelied beendet hatte, von einem Fuß auf den andern und stieß gleichsam ein warnendes Schnaufen aus. Hiernach war Wassili Andrejitsch so aufgeregt, dass er sich gar nicht wieder beruhigen und erst recht nicht einschlafen konnte. Sosehr er sich auch bemühte, an seine geschäftlichen Angelegenheiten, sein Ansehen, seine Würde und seinen Reichtum zu denken – er wurde in steigendem Maße von Angst übermannt, und in alle seine Gedanken mischte sich der Ärger darüber, dass er nicht zur Nacht in Grischkino geblieben war.
    Zum Teufel mit ihm, dem ganzen Wald, ich mache gottlob auch genug andere Geschäfte!, sagte sich Wassili Andrejitsch. Wie dumm, dass wir nicht im Dorf übernachtet haben! Es heißt ja, dass Angetrunkene leicht erfrieren – und ich habe doch getrunken … Bei diesem Gedanken merkte er, dass er zu zittern anfing, ohne selbst zu wissen, warum, ob vor Kälte oder vor Angst. Er mummte sich wieder ein und versuchte wie vorher, still zu liegen, doch brachte er es jetzt nicht mehr fertig. Es hielt ihn nicht an einer Stelle, er hatte das Bedürfnis, aufzustehen und etwas zu unternehmen, um die in ihm aufsteigende Angst zu unterdrücken, gegen die er, wie er selbst fühlte, machtlos war. Er holte abermals Zigaretten und Streichhölzer hervor, doch in der Schachtel waren nur noch drei Hölzchen, und von denen taugte keins etwas. Alle drei brachen ab, ohne sich zu entzünden.
    »Ach, hol dich der Teufel, du Verfluchter, scher dich weg!«, schimpfte Wassili Andrejitsch, ohne selbst zu wissen, auf wen, und schleuderte die zerdrückte Zigarette in den Schnee. Er wollte auch die Streichholzschachtel hinterherwerfen, hielt jedoch im letzten Augenblick inne

Weitere Kostenlose Bücher