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Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Titel: Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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unwillkürlich zusammen und trieb das Pferd eiligst weiter, ohne dabei zu beachten, dass er, als er zu dem Gebüsch geritten war, die Richtung geändert hatte; so trieb er das Pferd jetzt in eine ganz andere Richtung, immer noch in der Meinung, dass er dorthin ritt, wo das Wächterhäuschen stehen musste. Das Pferd machte mehrmals Anstalten, nach rechts abzubiegen, aber er zerrte es jedes Mal nach links.
    Nach einer Weile tauchte vor ihm abermals etwas Schwarzes auf. Er freute sich und war überzeugt, dies müsse jetzt bestimmt ein Dorf sein. Doch es war wieder ein mit Beifuß überwachsener Rain. Auch hier wurde das dürre Strauchwerk unbarmherzig vom Wind gepeitscht, was auf Wassili Andrejitsch merkwürdigerweise erschreckend wirkte. Aber abgesehen davon, dass das dürre Strauchwerk so unheimlich raschelte, entdeckte er jetzt auch eine sich vor dem Gebüsch hinziehende, vom Wind schon etwas verwehte Pferdespur. Wassili Andrejitsch hielt das Pferd an, bückte sich und blickte genauer hin: Ja, es war eine leicht verwehte Spur von Pferdehufen, und sie konnte von niemand anderem hinterlassen sein als von ihm selbst. Er war offensichtlich im Kreis geritten, und zwar auf einem ganz engen Raum. So komme ich hier um!, dachte er, und um sich nicht von der Angst übermannen zu lassen, schlug er noch heftiger auf das Pferd ein und blickte angestrengt in die weiße Finsternis, in der er hin und wieder lichte Punkte zu bemerken glaubte, die sich jedoch bei genauerem Hinsehen sofort in nichts auflösten. Einmal meinte er, Hundegebell oder das Heulen von Wölfen zu hören; aber diese Laute waren so schwach und undeutlich, dass er bezweifelte, ob er wirklich etwas hörte oder ob es ihm nur so schien; er hielt dann das Pferd an und lauschte gespannt.
    Plötzlich ertönte unmittelbar neben ihm ein furchtbarer, Mark und Bein erschütternder Schrei, und unter seinem Körper begann alles zu zittern und zu beben. Wassili Andrejitsch klammerte sich an den Hals des Pferdes, aber auch dieses bebte, und der furchtbare Schrei klang jetzt noch fürchterlicher. Im ersten Augenblick war Wassili Andrejitsch fassungslos und konnte nicht begreifen, was geschehen war. Es war indes nichts weiter geschehen, als dass Muchorty, um sich zu ermutigen oder um jemand zu Hilfe zu rufen, mit seiner schallenden Stimme in lautes Gewieher ausgebrochen war. »Pfui Teufel, wie mich das verdammte Biest erschreckt hat!«, murmelte Wassili Andrejitsch vor sich hin. Doch auch als er den wahren Grund seiner Angst erfasst hatte, war es ihm nicht mehr möglich, sie zu unterdrücken.
    Ich muss mich zusammennehmen, muss mit Überlegung handeln, sagte er sich; aber außerstande, sich zu beherrschen, trieb er das Pferd immer weiter und bemerkte dabei nicht, dass er nicht mehr gegen den Wind ritt, sondern ihn jetzt im Rücken hatte. Sein Körper, namentlich zwischen den Beinen, wo er nicht vom Pelz bedeckt war und mit dem Sattelzeug in Berührung kam, schmerzte ihn vor Kälte, seine Arme und Beine zitterten, und er atmete stoßweise. Er erkannte, dass er inmitten dieser furchtbaren weißen Schneewüste umkommen musste, und sah keinen rettenden Ausweg.
    Plötzlich sackte das Pferd unter ihm zusammen; es war in eine von Schnee verwehte Mulde geraten, versuchte, wieder herauszukommen, und fiel dabei auf die Seite. Wassili Andrejitsch sprang ab, wobei das Sattelgeschirr, auf das er den Fuß gestützt hatte, wegrutschte und der Riemen sich löste, an dem er sich beim Abspringen festhielt. Nachdem Wassili Andrejitsch vom Pferd gesprungen war, arbeitete sich dieses schnell aus dem Schnee heraus, machte ein paar Sätze nach vorn, wieherte wieder und verschwand, das herunterhängende Sattelzeug und Sackleinen hinter sich herziehend, in der Ferne und ließ Wassili Andrejitsch mitten im Schnee allein. Er wollte dem Pferd nachlaufen, doch der Schnee lag so hoch, und seine zwei Pelze waren so schwer, dass er bis an die Knie im Schnee versank und nach kaum zwanzig Schritten außer Atem kam und stehen blieb. Der Wald, die Ochsen, die gepachteten Güter, der Laden, die beiden Schenken, das Haus und der Speicher mit ihren Eisendächern, sein »Kronprinz« – was soll ohne mich aus alldem werden?, schoss es ihm durch den Kopf. Soll das alles hin sein? Das ist doch nicht möglich! Bei diesen Gedanken erinnerte er sich an das vom Wind hin und her gerissene Beifußgebüsch, an dem er zweimal vorbeigeritten war, und er wurde von solchem Grauen gepackt, dass er nicht an die Wirklichkeit seiner

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