Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
hatte… Natürlich habe ich Sünden begangen. Aber hab ich sie mir denn selbst ausgedacht? Gott hat mich so erschaffen. Nun ja, die Sünden! Aber jetzt kann ich sowieso nirgends mehr hin.
Alles das überlegte Nikita, als er daran dachte, was mit ihm in dieser Nacht geschehen könnte; er kehrte später aber nicht mehr zu diesen Gedanken zurück, sondern gab sich den Erinnerungen hin, die von selbst in seinem Gedächtnis wach wurden. Bald erinnerte er sich an Marfas Besuch, an die Saufereien der Knechte und wie er sich selbst geschworen hatte, nicht mehr zu trinken; bald dachte er an die jetzige Fahrt, an die Einkehr bei Taras und die Gespräche über eine Teilung, an seinen Sohn und an Muchorty, der sich unter der Matte erwärmen würde; bald wandte er seine Gedanken Wassili Andrejitsch zu, der so herumwirtschaftete, dass der ganze Schlitten knarrte . . . Der Gute wird wohl selber nicht froh sein, dass er gefahren ist, dachte Nikita. Wenn man so ein Leben führt wie er, will man nicht sterben. Das ist was anderes als mit unsereinem … Alle diese Gedanken verflochten sich allmählich ineinander, vermischten sich in seinem Kopf, und er schlief ein.
Als Wassili Andrejitsch dann das Pferd bestieg, wobei der Schlitten schwankte und die Außenwand, gegen die sich Nikita gelehnt hatte, wegrutschte, so dass er mit dem Rücken auf die Kufen fiel, wachte er auf und musste notgedrungen seine Lage ändern. Nachdem Nikita die Beine mühsam geradegebogen und den Schnee abgeschüttelt hatte, richtete er sich auf und spürte sofort, dass sein Körper von eisiger Kälte durchdrungen war. Und als ihm klar wurde, was Wassili Andrejitsch im Sinne führte, wollte er ihn bitten, ihm die für das Pferd nun nicht mehr benötigte Matte zu geben, damit er sich zudecken konnte, und er rief es ihm zu.
Aber Wassili Andrejitsch ließ sich nicht aufhalten und verschwand im Schleier des Schneegestöbers.
Allein geblieben, dachte Nikita ein paar Augenblicke nach, was er nun anfangen sollte. Auf der Suche nach einer menschlichen Behausung umherirren – dazu war er zu erschöpft. Sich wieder auf seinen bisherigen Platz setzen, das konnte er nicht, weil der ganz mit Schnee überhäuft war. Und im Schlitten, das fühlte er, würde er nicht warm werden, weil er nichts hatte, womit er sich zudecken konnte, und sein Mantel und der Pelz ihn jetzt nicht mehr wärmten. Er fror so, als hätte er nur ein Hemd an. Ihm wurde unheimlich zumute. »Großer Gott, himmlischer Vater!«, murmelte er vor sich hin, und die Gewissheit, dass er nicht allein war, dass jemand ihn hörte und ihn nicht im Stich lassen würde, beruhigte ihn. Er stieß einen schweren Seufzer aus, stieg dann, ohne das Sackleinen vom Kopf zu nehmen, in den Schlitten und legte sich auf den Platz seines Herrn nieder.
Doch auch im Schlitten konnte er auf keine Weise warm werden. Anfangs zitterte er am ganzen Körper, dann ließ der Schüttelfrost nach, und er verlor allmählich das Bewusstsein. Ob er starb oder nur einschlief, das wusste er nicht, doch fühlte er sich gleichermaßen auf das eine wie das andere vorbereitet.
8
Unterdessen bearbeitete Wassili Andrejitsch das Pferd mit den Beinen und den Enden der Zügel und trieb es in jene Richtung, in der er aus irgendeinem Grunde den Wald und das Wächterhäuschen vermutete. Der Schnee verklebte ihm die Augen, und der Wind stemmte sich ihm entgegen, aber er beugte sich tief nach vorn, raffte immer wieder seinen Pelz zusammen, um ihn zwischen sich und das ihn beim Sitzen hinderliche kalte Sattelzeug zu stecken, und trieb unablässig das Pferd an. Muchorty kam zwar nur mit großer Mühe vorwärts, trabte aber dennoch gehorsam dorthin, wohin er ihn lenkte.
Etwa fünf Minuten ritt Wassili Andrejitsch, wie er glaubte, immer geradeaus, ohne etwas anderes zu sehen als den Kopf des Pferdes und die weiße Einöde und ohne etwas anderes zu hören als den Wind, der um die Ohren des Pferdes und den Kragen seines Pelzes pfiff.
Plötzlich tauchte vor ihm in der Ferne etwas Schwarzes auf. Wassili Andrejitschs Herz schlug vor Freude höher, er ritt auf das Schwarze zu und glaubte schon die Häuser eines Dorfes zu erkennen. Aber das Schwarze stand nicht still, es bewegte sich unaufhörlich, und statt eines Dorfes erwies es sich als ein Beifußgebüsch an einem Feldrain, das unter dem Schnee hervorragte und von dem heftigen Wind ständig zur Seite gebogen wurde. Beim Anblick dieses vom Wind unbarmherzig misshandelten Gebüschs zuckte Wassili Andrejitsch
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