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Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Titel: Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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und steckte sie in die Tasche. Seine Unruhe hatte jetzt einen solchen Grad erreicht, dass er sich unbedingt Bewegung verschaffen musste. Er stieg aus dem Schlitten, stellte sich mit dem Rücken gegen den Wind und schnallte den Gürtel unterhalb der Taille wieder fester.
    Was soll ich hier herumliegen und auf den Tod warten! Ich setz mich aufs Pferd und reite los, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf. Beim Reiten wird das Pferd nicht scheu werden. Und dem da, dachte er mit einem Blick auf Nikita, dem macht es nichts weiter aus, zu sterben. Was hat er schon vom Leben! Er hat nichts zu verlieren, wogegen ich gottlob genug habe, ein richtiges Leben zu führen!
    Hierauf band er das Pferd los, warf ihm die Zügel über den Kopf und wollte sich hinaufschwingen, doch die beiden Pelze und die Stiefel waren so schwer, dass er zurückrutschte. Nun stellte er sich auf den Schlitten und versuchte, von dort aus auf das Pferd zu steigen; aber unter seinem Gewicht schwankte der Schlitten, und er glitt abermals ab. Beim dritten Versuch schließlich führte er das Pferd dicht an den Schlitten heran, stellte sich vorsichtig auf den Rand und erreichte nun wenigstens so viel, dass er sich mit dem Bauch quer über den Rücken des Pferdes legen konnte. Nachdem er dann einmal und noch einmal etwas nach vorn gerückt war, schwang er das eine Bein über den Rücken des Pferdes, setzte sich aufrecht hin und stemmte die Füße gegen die Seitenriemen des Hintergeschirrs. Nikita, der von dem Stoß des schwankenden Schlittens wach geworden war, richtete sich auf, und Wassili Andrejitsch glaubte zu hören, dass er etwas sagte.
    »Das hat man davon, wenn man auf euch dumme Tölpel hört! Soll ich hier für nichts und wieder nichts ums Leben kommen?«, rief Wassili Andrejitsch, steckte sich die auseinanderwehenden Enden des Pelzes unter die Knie, wendete das Pferd und ritt in die Richtung davon, in der sich seiner Vermutung nach der Wald und das Wächterhäuschen befinden mussten.
    7
     
    Nachdem sich Nikita hinter der Außenwand des Schlittens niedergelassen und mit der Matte zugedeckt hatte, war er dort die ganze Zeit regungslos sitzen geblieben. Wie alle Menschen, die mit der Natur verwachsen sind und die Not kennen, besaß er die Fähigkeit, in jeder Lage stunden-, ja sogar tagelang geduldig auszuharren, ohne Unruhe oder Ärger zu empfinden. Er hatte vorhin auch die Rufe seines Herrn gehört, aber nicht geantwortet, weil er sich nicht rühren und nicht auf ein Gespräch einlassen wollte. Vorläufig war ihm zwar noch von dem getrunkenen Tee und dem anstrengenden Herumwirtschaften im Schnee warm, doch wusste er, dass diese Wärme nicht lange vorhielt und er sich durch Bewegung nicht neu erwärmen konnte; er fühlte sich so erschöpft wie ein überanstrengtes Pferd, das stehenbleibt und auch nicht durch Peitschenhiebe weiterzubringen ist, bis sein Herr erkennt, dass es erst gefüttert werden muss, um wieder arbeiten zu können. Sein Fuß in dem zerrissenen Stiefel war bereits ganz steif vor Kälte, und den großen Zeh spürte er nicht mehr. Außerdem begann er am ganzen Körper immer mehr zu frieren. Als ihm der Gedanke kam, dass er in dieser Nacht vielleicht sterben könnte, ja sogar aller Wahrscheinlichkeit nach sterben musste, flößte er ihm weder besonderes Unbehagen noch besonderen Schrecken ein. Besonderes Unbehagen flößte ihm der Gedanke deshalb nicht ein, weil sein ganzes Leben kein fortwährender Feiertag gewesen war; die Arbeit hatte nie aufgehört und ihn allmählich entkräftet. Und als besonders schreckerregend empfand er diesen Gedanken deshalb nicht, weil er sich außer von seinen Herren, denen er, wie jetzt eben Wassili Andrejitsch, hier auf Erden diente, auch von jenem obersten Herrn abhängig fühlte, der ihn in dieses irdische Leben entsandt hatte; und er wusste, er würde auch in der Sterbestunde unter der Obhut dieses Herrn bleiben und brauchte von ihm keine Ungerechtigkeit zu befürchten. Aber tut es mir nicht leid, das gewohnte Leben und alles, womit man verwachsen ist, aufzugeben? Nun ja, dachte er, aber dagegen lässt sich nichts machen, man muss sich auch an das Neue gewöhnen.
    Und meine Sünden?, überlegte er und erinnerte sich an seine Zechereien und das dabei verjubelte Geld, an seine Grobheit und Gewalttätigkeit gegen seine Frau; er dachte daran, dass er nicht in die Kirche gegangen war und nicht die Fasten eingehalten hatte, und ihm fiel alles ein, weswegen ihm der Pope bei der Beichte ins Gewissen geredet

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