Die schönsten Sagen Österreichs (German Edition)
Staubwolke, die immer weiter weg wanderte.
Am nächsten Tag verkaufte die Frau ihr Häuschen in der Stadt, erwarb einen Spinnrocken und zog zu den armen Leuten auf den Wienerberg. Tag für Tag saß sie nun bei dem Holzkreuz und spann. Hier, wo sie ihren Mann zum letzten Mal gesehen hatte, hier wollte sie auch auf ihn warten. Und wie sie so saß und spann, da wanderten ihre Gedanken weit fort übers Meer ins Morgenland. Dort sah sie einen Mann tapfer kämpfen, und das war ihr Gatte. Sie hatte bei ihrer Arbeit viel Zeit zum Nachdenken; und eines Tages kam ihr der Gedanke, statt des Holzkreuzes eine schöne Steinsäule erbauen zu lassen, das Geld wollte sie sich durch Spinnen verdienen. Diese Idee war nicht mehr aus ihrem Kopf zu bringen. Sie traf mit sich selber das Abkommen, wenn die Steinsäule fertig sein würde, werde auch ihr Mann zurückkommen. Dieser Gedanke machte ihr das Leben und das Warten leichter, denn sie wusste, für wen und für was sie arbeitete.
Zwei Jahre waren jedoch schon vergangen, und die Frau spann noch immer. Alle Leute der Umgebung kannten sie schon und nannten sie die „Spinnerin am Kreuz“. Auch in Wien hatte man schon von ihr gehört und oft kamen neugierige Buben und Mädchen hinaus zu ihr und sahen sie scheu aus der Ferne an. Sie machte immer ein ernstes, bekümmertes Gesicht und sprach mit niemandem. Nur wenn ein Fremder aus dem Süden kam, hob sie den Kopf und fragte, ob er etwas von ihrem Mann wisse. Aber keiner hatte ihn gesehen. Die Vorübergehenden hatten Mitleid mit der jungen Frau. Sie kauften ihr die Textilien ab und gaben ihr mehr Geld, als sie verlangte. Das Geld legte die Frau behutsam zusammen und bald war es so viel, dass sie eine Steinsäule errichten lassen konnte. Sie ging zu einem Baumeister nach Wien und sagte:
„Ich möchte auf dem Wienerberg, wo jetzt das Holzkreuz steht, eine schöne Steinsäule erbauen lassen.“
Der Baumeister holte eine Mappe hervor, zeigte der Frau verschiedene Zeichnungen von Denksäulen und sagte:
„Sucht Euch die aus, welche Euch am besten gefällt!“
Die Spinnerin sah alle Bilder an und endlich hatte sie die schönste Abbildung gefunden. Da sprach sie:
„So soll die Säule ausschauen!“, und der Baumeister nannte ihr den Preis.
Aber so viel Geld hatte die Frau nicht, da musste sie noch ein Jahr sparen. Als das der Baumeister hörte, sagte er:
„Das macht nichts! Ich fange in der Zwischenzeit schon mit dem Bau an. Bis die Säule fertig ist, habt Ihr sicher schon so viel Geld verdient, wie das Denkmal kostet.“
Da arbeitete die Frau noch fleißiger als früher, und neben ihr arbeiteten die Steinmetze.
Sie legten zuerst drei Platten als Unterlage, unten die größte, die mittlere etwas kleiner und die obere noch ein wenig kleiner, so dass Stufen entstanden. Darauf setzten sie einen achtseitigen Steinsockel, und darauf kam eine schlanke Spitzsäule, ganz so, wie es auf dem Plan zu sehen war.
Nach einem Jahr war die Säule fertig und die Frau hatte inzwischen so viel verdient, dass sie den Preis zahlen konnte. Von nun an saß sie immer auf den Stufen der Denksäule und spann. Was sie jetzt verdiente, das wollte sie ihrem Mann schenken, wenn er zurückkam.
Warum aber kam er denn nicht? Das Denkmal war ja schon fertig! Tag für Tag saß die Frau auf ihrem Platz, immer wieder schaute sie den Weg hinab, auf dem ihr Mann fortgezogen war. Und wenn der Abend kam und die Frau ihre Sachen zusammenpackte, dann sagte sie leise zu sich selbst:
„Heute wieder nicht! Vielleicht kommt er morgen!“
Am nächsten Morgen saß sie wieder auf der Höhe und spann. Und so ging es viele Wochen und Monate weiter, aber ihr Mann kehrte nicht heim.
Drei Jahre waren bereits vergangen und die Frau wartete noch immer auf ihren geliebten Gatten. Sie war schon ganz blass und mager geworden vor lauter Kummer. Als sie einmal wieder nach Süden in die Ferne blickte, da sah sie – genau wie vor drei Jahren – eine Staubwolke. Das waren die heimkehrenden Kreuzfahrer! Die Hände zitterten ihr vor Freude, sie legte die Arbeit weg und schaute mit klopfendem Herzen in die Ferne. Immer näher kam der Zug, Waffen blitzten in der Sonne. Es war eine lange Kolonne von Männern, alle waren braun im Gesicht und ganz mit Staub bedeckt – und alle zogen an der Denksäule vorüber. Jedem Krieger blickte die Frau ins Gesicht, eine ganze Stunde lang dauerte das Vorbeimarschieren – ihr Mann war aber nicht dabei.
Da warf sich die arme Frau auf die Stufen der Säule und
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