Die schönsten Sagen Österreichs (German Edition)
sprechen.“
Das gefiel dem Bettler, und obwohl es ihm nicht ganz geheuer war, dass er einen Handel mit dem Teufel machte – denn so viel hatte er mittlerweile doch verstanden –, ging er auf das Angebot ein. Was wog schon seine Seele mit einem knurrenden Magen gegen ein Leben mit Goldtalern? Das „Kirchengehen“ war ihm sowieso verhasst und das Betteln mit den heruntergeleierten Gebeten ebenfalls. Er ging den Handel also ein und der Grünrock sagte, er werde am nächsten Morgen zu ihm kommen und den Vertrag mitbringen, der zu unterschreiben war. Wenn der Bettler aber den Pakt nicht gewissenhaft einhalten würde, dann sollte dem Teufel die Seele sofort gehören, mahnte ihn dieser.
„Und merke dir gut, das Geld vom ‚Schab den Rüssel‘ kannst du nur in der Früh bekommen, und dabei musst du nüchtern sein“, waren die letzten Worte des Leibhaftigen, und schon war er nicht mehr zu sehen. Der Bettler ging nun nach Hause, als hätte er den größten Schatz der Welt bei sich, den es vor Dieben zu behüten galt. Sogar zum Schlafen nahm er die Raspel mit ins Bett, um nur ja sicher zu gehen, nicht bestohlen zu werden.
Gleich im Morgengrauen war er am nächsten Tag schon auf und zog die Raspel hervor. Dann hielt er sich gleich eine Schüssel unters Kinn und strich mit der Raspel über seinen breiten Mund. „Schab den Rüssel!“, sprach er, und „kling“ fiel ein funkelnagelneuer „Kremnitzer“ in die Schüssel. Diese Kremnitzer Dukaten waren Goldmünzen von bester Qualität und seit dem Ende des 17. Jahrhunderts sehr gefragt. Mit dem Streich über seinen Mund raspelte der Bettler aber auch etwas Haut von seiner Lippe. Vor Freude über das Gold spürte er gar keinen Schmerz und machte das Kunststück gleich noch einmal und wieder und wieder. In seiner Schüssel, da klimperte es nur so wie bei einem Glockenspiel, und er achtete nicht weiter darauf, dass er bereits stark blutete. Da stand mit einem Mal der Grünrock mit dem Vertrag vor ihm, zog eine frisch geschnittene Feder aus der Tasche – eigentümlicherweise war sie verkehrt gespitzt – und tunkte sie in die blutenden Lippen des Bettlers wie in ein rotes Tintenfass. Schnell unterschrieb der Mann den Vertrag für seine neue Raspel, und gleich darauf war der Teufel auch schon wieder verschwunden. Er ließ dem Bettler jedoch noch eine kleine Dose mit Lippenbalsam da, die mehr nach Schwefel als nach Rosenöl roch, und riet ihm die Wunde verheilen zu lassen und nicht zu viel Gebrauch von der Raspel zu machen, denn auch die Polizei würde sich Gedanken zu solchen Verletzungen machen.
Am nächsten Tag hatte der frühere Bettler einen stark entstellten Mund und eine fürchterliche Kruste auf den Lippen. Doch er konnte sich nicht beherrschen und schabte gleich am Morgen wieder so viele Goldmünzen her, dass seine Lippen wie zerplatzte Würstchen aufsprangen. An diesem Tag hatte er sehr wohl Schmerzen dabei, aber die nahm er in Kauf. Als er dann mit seinem „Gewinn“ aus dem Haus ging, hielt er sich einfach ein Tuch vor den Mund, sodass die Leute meinten, er hätte schlimmes Zahnweh. Er ging ins Gasthaus und ließ es sich gut gehen, auch lud er seine früheren Bettelkameraden ein, die mit zunehmendem Weingenuss spöttelten, dass er wohl des Teufels Großmutter geküsst haben müsse, dass er heute so ein Schwartenmaul habe. Er zog ärgerlich seine Raspel hervor und sprach heimlich und leise: „Schab den Rüssel.“ Da tanzte die Raspel auf den Lippen des Spötters herum, doch war sie nicht zu sehen und es fiel auch kein Goldstück herunter, und der Gequälte schrie vor Schmerzen laut auf, verließ den Tisch und kam nicht mehr zurück.
Mit jedem Tag wurde der frühere Bettler nun reicher und schabte sich die Münzen her, so wie er es aushalten konnte; nach einiger Zeit war er zu einem ansehnlichen Haus gekommen und gab dem den Namen „Zum Schab den Rüssel“, was er auch über der Haustür anschreiben ließ. Als Vornamen nahm er nun Chrysostomus an, was zu Deutsch „Goldmund“ bedeutet. Herr Chrysostomus zum Schab den Rüssel schien jeden Tag reicher und reicher zu werden, doch sah man ihn nie mehr ohne verbundenen Mund, und bald erzählten sich die Leute, dass er keinen Mund, sondern einen Saurüssel habe, von dem er sich immer etwas Gold abschabte. Sein neues Leben gefiel ihm sehr gut, und wer es wagte ihn zu verspotten oder ihm etwas Böses unterstellen wollte wegen seines blutigen Mauls, so wie es die Polizei einmal tat, den ließ er die Raspel spüren.
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