Die schönsten Sagen Österreichs (German Edition)
Sämtliche Burgvorräte wurden nun verbraucht und als der Wein am Versiegen war, da wurden die Toten ihrer Sachen bestohlen. Irgendwann besannen sich die Soldaten ihres Auftrages, Agnes von Pfannberg tot oder lebendig nach Graz zum König zu bringen, doch ihr Leichnam konnte einfach nicht gefunden werden. Die zwei Getreuen, die sich gerettet hatten, waren heimlich zurückgekehrt und hatten die tote Agnes vor den Feinden in Sicherheit gebracht. Als dann die Soldaten König Ottokars III. wieder abzogen, legten sie Feuer und brannten die Feste nieder; das war im Jahre 1269, überstanden hat das Feuer einzig der große Burgturm. Doch heute noch kann man jedes Jahr in der Vollmondnacht im Juni deutlich Pferdegewieher und das Gemurmel vieler Stimmen hören. Auch kann man klingende Schwerter im Kampf hören, aber alles wie aus weiter Ferne. Auf dem Burgturm erscheint eine weiße Frau mit goldenen Locken, die unter einem Helm hervorlugen. Schild und Schwert hält sie in den Händen, und hinter ihr erkennt man ihr treues Gefolge.
Der Brudermord in Schielleiten
Südöstlich von Stubenberg liegt auf halber Höhe des Vockenberges die Ruine des Schlosses Schielleiten. Die heute erhaltene Ruine stammt von einem gewaltigen Bau aus dem 16. Jahrhundert. An der gleichen Stelle stand früher eine viel ältere Burg des gleichnamigen Rittergeschlechtes. Die Sage erzählt, dass dieses Geschlecht im Jahr 1377 durch einen Brudermord erloschen sei.
Auf dieser stolzen Burg lebten damals zwei recht ungleiche Brüder: Radbold und Friedel von Schielleiten. Der Ältere, Radbold, war ein finsterer, verschlossener und aufbrausender Mann, Friedel, der Jüngere, war ein milder, leutseliger Herr, der bei dem Burggesinde und den Untertanen des Schlosses ungleich beliebter und angesehener war.
Radbold verlobte sich mit Gisela, der Tochter des benachbarten Ritters von Herberstein, und so feierten die drei viele fröhliche Feste auf der Burg. Gisela wandte sich bei diesen Gelegenheiten mehr und mehr dem liebenswürdigen und fröhlichen Friedel zu. Radbold blieb es nicht verborgen, dass die Zuneigung Giselas immer stärker dem jüngeren Bruder galt. Er versteinerte dadurch noch weiter in seinem Herzen, und Eifersucht und Hass bestimmten mehr denn je seine Entscheidungen.
Eines Tages bemerkte Radbold bei einem Jagdausflug die munteren Plaudereien und Scherze zwischen Gisela und Friedel. Fast nebenbei hatte Friedel das Jagdglück und er fällte mit einem geschickten Lanzenstich einen mächtigen Eber. Bleich vor innerer Wut sprengte Radbold wortlos zur Burg zurück. Friedel schickte die Weidknechte mit dem Eber voraus, um einen Kessel mit Wasser für den erlegten Eber zu sieden, während er und Gisela sich noch auf den Waldlichtungen amüsierten und erst sehr spät die Burg erreichten.
In der Burg angekommen, prasselte das Feuer unter dem Kessel und Friedel schaute entspannt in das dampfende Wasser. Plötzlich umklammerten ihn von hinten zwei kräftige Arme, hoben ihn hoch und warfen ihn trotz allen Sträubens mit kräftiger Faust in den Kessel mit siedendem Wasser. Ungehört verhallte der laute Hilfeschrei des Überfallenen – Friedel nahm ein qualvolles Ende.
Verzweifelt über seine eigene Tat, schloss sich Radbold in seiner Kammer ein; Gewissensbisse quälten ihn, er konnte die Gefühle nach seiner Gewalthandlung nicht ausschalten. Als man ihn nach drei Tagen wieder sah, schien er um Jahre gealtert, sein Haar war ergraut, sein Auge erloschen und sein Gang war schleppend. Er konnte die abscheuliche Tat nicht mehr ungeschehen machen, aber sühnen wollte er sie und Buße tun.
Sein Entschluss war gefasst. Er schenkte das väterliche Stammschloss samt allen Besitzungen dem Templerorden und zog dann als Pilger ins Heilige Land. Kein Lebenszeichen von ihm gelangte mehr in die Heimat. Der letzte Herr von Schielleiten blieb verschollen und fand in der Fremde sein Grab.
Aber auch dort soll der Brudermörder keine Ruhe finden. Man erzählt, dass sein Geist als Schlangengespenst nächtlicherweise im Keller der Burg umherwandere. Und wenn ihm freundlich und versöhnend der Geist seines Bruders begegne, fliehe er klagend und jammernd davon. Dann dringe aus den Fenstern der alten Burg ein seltsamer Schein, und man könne einen langen Zug bärtiger Gestalten in weißen, mit rotem Kreuz geschmückten Gewändern durch die Hallen ziehen sehen, die mit dumpfem Gebet und schaurig ernsten Gesängen die Geister der unglücklichen Brüder zu bannen versuchen.
Der Fall
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