Die schönsten Sagen Österreichs (German Edition)
dem er sämtliche Tuchballen und Decken davontrug. Auch viele andere Einbrüche in Hardegg gingen auf sein Konto und immer konnte er ungeschoren mit seiner Beute verschwinden. Die geraubten Sachen hortete er in Verstecken bei Maria Dreieichen und Drosendorf. Manche sagen, dass er mit seinen Gefährten in einer Höhle in der Gegend von Maria Dreieichen gehaust habe. Eine junge Frau soll es dann gewesen sein, die ihn dort verraten hat. Dem Grasel wiederum wurde dieser Verrat gesteckt, woraufhin er sich an der Verräterin rächte. Er nahm sie gefangen und band sie auf einen Baum über einen Ameisenhaufen, wo sie elendiglich sterben musste.
Einmal aber sammelte eine arme Frau im dichten Kirchenwald bei Hollabrunn Pilze, sie wollte damit die kargen Mahlzeiten ihrer Familie ein wenig aufbessern. Da trat plötzlich ein fremder Mann aus dem Unterholz hervor, die Frau wusste zwar nicht, wer er war, aber sie erschrak sehr. Der Fremde erklärte ihr freundlich:
„Du brauchst keine Angst zu haben, denn ich tue dir nichts, weil du eine ehrliche Frau bist! Ich beraube nur die Reichen und verteile das Geld an die Armen, ich bin der Räuberhauptmann Grasel!“
Dann zog der Grasel ein paar Goldtaler aus seiner Tasche und gab sie ihr, ehe er wortlos wieder verschwand. Nachdem sich die Alte vom Schock der seltsamen Begegnung erholt hatte, sammelte sie weiter Pilze und stieß dabei auf ein Stück Papier. Als sie es aufhob, fand sie folgende Worte darauf geschrieben:
„Verrate nicht den Ort, wo ich mich aufhalte!“
Schnell lief nun die reich beschenkte Frau nach Hause und erzählte von der seltsamen Begegnung, fügte aber hinzu, dass sie es für sich behalten sollten. Die Kinder konnten das Erzählte aber nicht für sich behalten und plauderten die Worte der Mutter aus, womit der Aufenthaltsort des Räuberhauptmanns auf ein immer kleineres Gebiet begrenzt werden konnte.
Mit den Klosterleuten von Zwettl schloss der Grasel einen Vertrag. Der Räuberhauptmann sollte sie auf ihren Wegen nach Rafting oder zu anderen Meierhöfen, wo sie ihre Ernte oder andere Waren holten, in Ruhe lassen. Im Gegenzug sollte er sich so viele Eimer des besten Stiftsweines holen dürfen, wie er wollte. Grasel hielt sein Versprechen und bekam auch regelmäßig seinen ausgehandelten Wein.
Zu dieser Zeit fuhr einmal ein Fleischhauer auf den Markt, um Schlachtvieh einzukaufen, und musste dabei durch den Wald bei Göpfritz an der Wild bei Zwettl. Da sah er eine am Stock gehende und mühselig atmende alte Frau, und als er näherkam, bat sie ihn, er möchte sie aufsitzen lassen, da sie nicht mehr weitergehen könnte. Gutmütig half dieser der alten Frau auf den Wagen und wollte ihr auch den Korb, den sie am Arm trug, abnehmen. Doch den ließ sie nicht aus der Hand und zog ihn erschrocken an sich. Sehr zerbrechliche Sachen hätte sie da drinnen, erklärte sie, aber dem Fleischhauer war es, als hätte er Eisen klirren gehört.
Im Weiterfahren warf er mehrere Seitenblicke auf die Frau neben ihm, doch diese hatte ihr Kopftuch so weit ins Gesicht gezogen, dass er es nicht erkennen konnte. Aus den Augenwinkeln heraus meinte er, als sich das Kopftuch im Fahrtwind einmal ein wenig verschob, einen bärtigen Mann an seiner Seite sitzen zu sehen.
Jetzt reagierte der Fleischhauer schnell, ließ seine Pfeife auf die Straße fallen und bat die Alte darum sie aufzuheben. Als diese abstieg und zugleich einen schrillen Pfiff in Richtung Wald losließ, hieb er mit heftigen Peitschenhieben auf sein feuriges Pferd, sodass es im schnellen Galopp lossprang. Der sich als Weib verkleidete Räuberhauptmann schickte ihm gleich ein paar Kugeln hinterher und ebenso taten es seine von allen Seiten aus dem Walddickicht hervorspringenden Genossen, aber der Fleischhauer wurde nicht getroffen. Einer der Räuber spurtete dem Wagen nach, machte einen Sprung und hielt sich daran fest, um sich hinaufzuschwingen. Der Fuhrmann aber griff nach seinem Handhackl, machte einen Schlag und trennte ein paar Finger von der sich festklammernden Hand ab. Einer der Finger flog dabei in den Wagen, und als der Fleischer endlich in Göpfritz angekommen war und sein Abenteuer erzählte, schauten sich seine Zuhörer auch den abgeschlagenen Finger an. Ein wertvoller Ring steckte an ihm, der kurz vorher einem Verwalter gestohlen worden war. In dem am Wagen zurückgebliebenen Korb aber fand man Stemmeisen, Diebsschlüssel und scharf geschliffene Messer. Ohne seine Geistesgegenwart wäre der Fleischer fast ein Opfer
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