Die schönsten Sagen Österreichs (German Edition)
schlimm wird’s schon nicht werden – morgen sehen wir weiter.“
Und am nächsten Morgen, noch vor dem ersten Sonnenstrahl, hatte Frau Kunigunde schon einen Plan.
„Ich werde euch dort auf diesen steilen Felsen hinaufführen, dort gibt es mehrere Höhlen, und nur ein kleiner Steig führt hinauf. Ich aber weiß noch einen anderen Weg, der nicht so beschwerlich ist, dort seid ihr sicher und könnt euch auch für längere Zeit verstecken.“
Mit kühlem Kopf hatte die Witwe alles Nötige packen lassen, von der medizinischen Versorgung über lebende Ziegen zur Frischfleischversorgung bis hin zu Waffen und Munition. Frau Kunigunde schien förmlich in ihrem Element zu sein.
„Alles mir nach!“, rief sie mit dem ersten Hahnenschrei, und auf ging es zur Frauenmauer.
Der Aufstieg war nicht leicht mit so vielen Menschen und so viel Gepäck, aber als sie in den Höhlen angelangt waren, strahlten alle vor Erleichterung, hier waren sie wirklich sicher, hier fand bestimmt kein Fremder herauf, und schon gar kein Heer. Frau Kunigunde ließ aber noch einige Vorkehrungen treffen. Eine Fallbrücke aus Baumstämmen wurde gebaut und der schmale Felsenkamm, über den die Menschen in die Höhle gelangt waren, wurde zertrümmert – die Höhle konnte also nur mehr mittels Fallbrücke erreicht werden.
„Sollte nun doch etwas passieren, so lasst uns eine Parole ausmachen. Wenn ich verfolgt werde und ihr mir schnell die Fallbrücke herablassen sollt, um mich in Sicherheit zu bringen, so werde ich ‚Schön ist die Nacht nicht, aber heilsam!‘ rufen.“
Nun ging die Witwe beruhigt wieder zu ihrem Hof, kehrte aber noch am gleichen Abend zurück und brachte ihre eigenen Wertsachen mit, um sie in den Höhlen zu verstecken. Dabei hatte sie auch ein Pulverfass, und das ließ sie unter dem Felsen eingraben. Auf dem Heimweg schaute sie noch schnell beim Wandhiesel vorbei, um zu wissen, was der Widerling so trieb, doch der Vogel war ausgeflogen. Am Hof der Frau Kunigunde waren alle für die ankommenden Türkenscharen gewappnet, doch der nächste Tag verging ohne ein Zeichen des Feindes, und auch der übernächste Tag verlief ohne Zwischenfall. In der Nacht hörte man schließlich leises Stimmengemurmel und dunkle Schatten näherten sich, auch die Hunde schlugen Alarm. Die Stimmen wurden immer deutlicher, und Waffengeklirr unterbrach die monotonen Geräusche, bis plötzlich eine altbekannte Stimme ertönte:
„Aufgemacht!“, donnerte die Stimme, „aufgemacht, oder wir setzen euch den roten Hahn auf das Dach!“
Es war der Wandhiesel und kein anderer, der die Türkenarmee direkt zur Frau Kunigunde geführt hatte. Aber das ließ sich die mutige Witwe nicht zweimal bieten:
„Weicht zurück oder ihr werdet gehacktes Eisen zu spüren bekommen!“, warnte sie.
„Weib, das soll dich teuer zu stehen kommen!“, schnarrte der Wandhiesel, der nun seine Flinte gegen die kühne Frau abdrückte.
Doch die konterte nur verächtlich: „Schlechter Schütze!“
Nun aber wurde wirklich Feuer gelegt, und als das Dach lichterloh brannte, musste auch die mutige Kunigunde das Haus verlassen. Schüsse fielen, und auf jeden gab die Witwe eine passende Antwort; schnell kletterte sie durch das Hinterfenster – doch dort stieg sie direkt in die Arme ihrer Feinde.
„So, Weib, jetzt haben wir dich, jetzt bist du dran!“
Sie wurde vor den Anführer der Türken gebracht, der die Herausgabe der Schätze forderte, von denen der Wandhiesel so viel erzählt hatte. Das konnte Frau Kunigunde gut verstehen, und so ließ sie sich auf den Handel ein, die Türken zu den Höhlen zu geleiten, wo auch die Eisenerzer versteckt waren. An einem langen Strick wurde sie geführt, und in der tiefschwarzen Nacht sahen die Türken gar nicht, wie steil es hinabging. Am Eingangsfelsen angekommen, mahnte sie ihre Feinde zur Ruhe, und schon rief der Wächter „Wer da?“
„Lasst mich hinein“, antwortete die schlaue Kunigunde, „schön ist die Nacht nicht, aber heilsam!“, und sie kletterte geschwind auf die Fallbrücke und war schon in der Höhle.
Sie nahm eine Fackel und warf sie zum Felsen mit den feindlichen Soldaten, da explodierte auch schon das Pulverfass, und Felsen und Menschen stürzten in die Tiefe. Jubel brach aus, doch Frau Kunigunde musste sich erst einmal setzen, nun spürte auch sie die Anstrengungen der letzten Tage.
Später erfuhr sie dann, dass die übrigen Türken in die Ramsau weitergezogen waren, wo es in der „Beeres“ zu einem Kampf mit den
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