Die Schokoladendiät
Nadia war müde, und sie hatte wahrscheinlich eh schon das ein oder andere Glas zu viel gehabt. Eigentlich hatte sie nicht mehr als einen Wein trinken unddann nach Hause fahren wollen, doch sie hatte im Laufe des Tages das Gefühl gehabt, die Feierlichkeiten nicht ohne so manch stärkendes Gläschen zu überstehen. Jetzt müsste sie ein Taxi rufen, und es würde die Hölle werden, am Weihnachtstag überhaupt eins zu kriegen. Abgesehen davon, dass es schrecklich teuer wäre. Wenn sie ehrlich war, hatte sie keine große Lust, in Chantals Wohnung zurückzukehren, denn ihre Freundin war nicht da und Nadia und Lewis würden die nächsten paar Tage sowieso allein sein. Und sie wollte sich auch nicht von Toby und der schläfrigen, gemütlichen Wärme ihres eigenen Heims losreißen. «Ja. Wir bleiben.»
«Lewis, geh in dein Schlafzimmer und such dir einen Schlafanzug. Mummy ist gleich bei dir.»
Ihr Sohn lief aufgeregt aus dem Zimmer, und Toby nahm sie in die Arme. «Bleib doch für immer, Nadia. Ich will euch beide wieder bei mir haben.»
Konnte sie ihrer Ehe noch eine Chance geben und würde ihr Mann nach all seinen Versprechungen das Glücksspiel wirklich je aufgeben können? Sie schaute ihm in die Augen, die so ehrlich wirkten, doch woher sollte sie wissen, dass er sich tatsächlich geändert hatte? Hatte Toby genug Zeit allein gehabt, um über sein Fehlverhalten nachzudenken? Sie liebte ihren Mann. Daran hatte sie nie gezweifelt. Doch mit seiner Sucht kam sie nicht zurecht. Sie durfte diese Entscheidung nicht nach ein paar Gläsern billigen Schampus treffen, das war sie Lewis schuldig. Es würde ihm und ihr nicht guttun, wieder zu Hause einzuziehen, nur, um herauszufinden, dass sich nichts geändert hatte. Das konnte sie ihrem Sohn nicht antun – sie musste langfristig an seine Stabilität denken. Aber es wäre so schön, wieder in Tobys Armen zu liegen. Er war schließlich trotz seiner Fehler eingutaussehender, liebevoller Mann, und sie hatte ihn sehr vermisst.
Nadia lehnte sich an ihn, legte den Kopf auf seine Schulter und drückte ihm zärtlich einen Kuss auf den Hals. «Wir bleiben erst mal für heute Abend», murmelte sie. «Lass uns einen Schritt nach dem anderen machen.»
13
Autumn
spürte, dass sie die Luft anhielt, und hinter ihren Augen bauten sich langsam Kopfschmerzen auf. Sie fand es unglaublich anstrengend, nach außen den Anschein von Normalität aufrechtzuerhalten. Ihr Bruder hatte schon mehrere Gläser Champagner heruntergekippt, bevor das Weihnachtsessen überhaupt serviert wurde. Jetzt wedelte er beim Sprechen mit den Armen durch die Luft, verschluckte die Hälfte der Silben und bewegte sich hektisch und unkoordiniert.
Vor Addison und ihr torkelte Richard ins Speisezimmer.
«Addison, setzen Sie sich doch bitte hier neben mich», sagte Mrs. Fielding, als verliefe alles ganz normal.
Falls das palastartige Speisezimmer ihren Freund einschüchterte, dann ging er bemerkenswert cool damit um. Er sah Autumn an und zwinkerte ihr beruhigend zu.
Der schimmernde Mahagonitisch bot Platz für sechzehn Personen und war mit dem besten Familiengeschirr und Silberbesteck gedeckt. Kristallglaskelche funkelten im Licht der Kandelaber. Üppige Schalen mit winterlichen Früchten waren mit Stechpalmenzweigen dekoriert. An den Bilderleisten und über dem reichverzierten marmornen Kamin hingen Mistelgirlanden, und auf dem Rost prasselte einFeuer, das der ansonsten etwas unbehaglichen Atmosphäre im Raum ein wenig Wärme verlieh. Es war eine Szene wie auf einer Weihnachtskarte. Idyllisch. Und typisch für ihr Familienleben – eine perfekte Szenerie, die die gewaltigen Spannungen unter der Oberfläche hübsch übertünchte.
Als Addison sich auf den Weg zu seinem Platz machte, packte Autumn ihren Bruder am Arm und hielt ihn fest. «Rich», flüsterte sie, «jetzt komm mal wieder runter. Du hast genug getrunken.»
«Doch nur ein paar Gläser», beharrte er. «Du solltest dich entspannen, Autumn. Es ist Weihnachten, und der verlorene Sohn ist unter großem Jubel zurückgekehrt. Bist du vielleicht eifersüchtig, weil für dich nie so ein fettes Kalb aufgetischt wird?» Er trank noch einen kräftigen Schluck aus seiner Champagnerflöte. «Oh, verzeih, als Vegetarierin würdest du so etwas ja nicht anrühren.»
«Du machst dich lächerlich, und außerdem haben wir einen Gast.»
«Da müssen wir den Schein wahren, was?»
«Was spräche denn dagegen», fragte sie leise. «Unsere Eltern haben gerade ungeheuer viel
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