Die Schokoladendiät
mehr so sicher, ob sie es überhaupt noch verkaufen wollte. Sie hatten so eine schöne Zeit über die Feiertage gehabt. War es da wirklich klug, die Familieneinheit aufzulösen? Und sollte sie Toby nicht lieber unterstützen, falls es ihm wirklich gelungen war, dasGlücksspiel im Internet aufzugeben? Lewis vermisste seinen Vater sehr. Obwohl Chantals Wohnung für ihn den Reiz des Neuen verströmte, war es nicht dasselbe, wie zu Hause zu sein. War «Tante» Chantal am Anfang auch recht zögerlich gewesen, so betrachtete sie Lewis jetzt als wichtigen Teil ihres Lebens und verwöhnte ihn maßlos. Als typischer Mann hatte Lewis gegen so viel Aufmerksamkeit nichts einzuwenden – genauso wenig wie gegen die viele Schokolade. Doch das war alles kein Ersatz für einen Vater.
Gott sei Dank parkte Tobys Van nicht vor dem Haus. Nadia wollte nicht, dass es so aussah, als traute sie ihrem Mann nicht – auch, wenn es bei dieser kleinen Eskapade im Grunde genau darum ging. Deshalb war es viel leichter, sie ohne den neugierigen Lewis im Schlepptau zu unternehmen. Mit seinen vier Jahren war er der schlechteste Geheimnishüter der Welt, und sie wollte ihn nicht in ihre Spionageoperation mit hineinziehen.
Das Haus war ziemlich aufgeräumt. Seit sie ausgezogen war, war an Tobys Haushaltsführung nichts auszusetzen. In der Küche standen eine einzige Müslischale und ein Becher im Spülbecken, bei deren Anblick Nadia am liebsten geweint hätte. Das Bild, wie Toby hier jeden Morgen allein saß, war schwer zu ertragen.
Auf der Ablage, wo sie Post und Werbesendungen deponierten, wartete ein Stapel geöffneter Briefumschläge darauf, irgendwann mit in ihr winziges Büro genommen und bearbeitet zu werden. Sie holte die Briefe heraus und sah sie sich an. Wie immer waren viele Rechnungen darunter, doch alle waren sie legitim und hatten meistens etwas mit Tobys Klempnerberuf zu tun. Nadia spürte eine Welle der Erleichterung in sich aufsteigen; hier war alles in Ordnung.
Beinahe vergaß sie, dass sie ein Eindringling war, undwollte fast schon die Post mit nach oben nehmen. Stattdessen hinterließ sie den Stapel so, wie sie ihn vorgefunden hatte, und stieg mit leeren Händen die Treppe hinauf. In dem engen Büro durchsuchte sie Tobys Schreibtisch und kramte in den Schubladen. Je gründlicher sie ihr eigenes Haus durchforstete, desto schrecklicher fühlte sie sich. Aber sie musste einfach sicher sein, dass ihr Mann die Wahrheit gesagt und sich wirklich aus den Klauen der Spielsucht befreit hatte, unter der ihre Ehe so leiden musste. Wenn Chantal nicht so großzügig gewesen wäre, wären sie inzwischen bankrott, obdachlos und wer weiß was sonst noch alles.
Sie schaltete Tobys Computer ein. Zum Glück hatte er sein Passwort nicht geändert. Hieß das, dass er nichts mehr vor ihr zu verbergen hatte? Sie durchsuchte den Internetverlauf, fand jedoch keinen Hinweis auf Webseiten, die Menschen dazu verführen wollten, sich von ihrem schwerverdienten Geld zu trennen. Kein Virtual Vegas, kein Cash Casino, kein Mansion of Millions. Toby war mit seiner Sucht ja nicht allein. Die Online-Glücksspielseuche hatte sich über den ganzen Globus ausgebreitet und umgarnte die Menschen mit Versprechungen unermesslicher Reichtümer. Das Stigma anrüchiger Spielhöllen spielte hier keine Rolle mehr, man musste sich nicht heimlich in ein Kasino schleichen oder bis spät nachts Poker spielen – gezockt wurde auf Kreditkarte und per Mausklick. Ein gefährlicher und potenziell ruinöser Zeitvertreib, dem man in der behaglichen Atmosphäre des eigenen Heims nachgehen konnte. In den Zeitungen fand sich praktisch jeden Tag eine Geschichte über jemanden, der auf diesen tückischen Webseiten Tausende von Pfund verloren hatte. Nadia hoffte von ganzem Herzen, dass es ihrem Mann gelungen war, sich von seinen Dämonen zu befreien.
Die USA versuchten gerade, ihren Bürgern das Online-Glücksspiel zu verbieten. Eine tolle Idee, doch Nadia überlegte, wie sie das schaffen wollten. Würde ein solcher Versuch die ganze Szene nicht noch mehr in den Untergrund treiben? Würden sich all die Menschen einfach achselzuckend von ihrer Sucht nach blinkenden Lichtern und leeren Versprechungen abwenden? Das glaubte sie kaum.
Nadia schaltete den Computer aus und ging ins Schlafzimmer. Langsam verlor sie den Mut für ihre erbärmliche Unternehmung. Eigentlich war es unfair gegenüber Toby. Sie sollte ihm vertrauen, sonst hatten sie keine Zukunft. Ein flüchtiger Blick in die Schubladen
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