Die Schokoladendiät
passiert?»
Als sie näher kam, sah sie, was los war. Über dem Nasenrückenwar ein Schnitt, auf seiner Wange hatten sich blaue Flecken gebildet, und seine Lippe war geschwollen. «Kleine Rangelei», antwortete er. «Nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste.»
Autumn lotste ihn von ihren Schülern weg, um offener mit ihm reden zu können. «Waren das die Leute, vor denen du weggelaufen bist?»
Richard schüttelte den Kopf. «Ich bin nicht weggelaufen, Schwesterchen. Ich habe mich nur für kurze Zeit von der Szene entfernt.»
Auch nur andere Worte dafür, dass du weggelaufen bist, dachte Autumn seufzend.
«Ich bin hier, weil du mir einen Gefallen tun musst», begann Rich. Bei ihrem Bruder gab es immer einen Haken. Autumn konnte sich nicht erinnern, wann er ihr das letzte Mal einfach nur einen freundlichen Besuch abgestattet hatte. «Besteht die geringste Chance, dass ich noch einmal in deiner Wohnung unterkommen kann? Bis ich wieder auf den Beinen bin?»
Bis er genug Geld mit Drogen gemacht hatte, um sich eine eigene Wohnung zu leisten, sollte das wohl eher heißen.
«Wohnst du noch bei Mummy und Daddy?»
«Ja.» Richard spielte mit einer Buntglasscherbe von der Werkbank. Sie wollte ihn warnen, sich nicht zu schneiden, doch dann fiel ihr ein, dass ihm Gefahren von Glasscherben wahrscheinlich auch bekannt sein dürften. «Aber ich kann da nicht bleiben», sagte er. «Sie bringen mich um.»
«Auch nicht schneller als deine Drogen», erwiderte sie.
«Ich kann keinen Schritt tun, ohne dass sie wissen wollen, wohin ich gehe», beschwerte er sich. «Ist das zu fassen? Sie behandeln mich, als wäre ich fünfzehn.»
«Vielleicht würde es helfen, wenn du dich nicht so benehmen würdest, als wärst du fünfzehn», schlug sie vor.
Ihr Kommentar stieß auf taube Ohren. «Kann ich heute Abend meine Sachen bringen?»
Autumn war hin und her gerissen. Sie hatte Richard immer geholfen. Er mochte sie in den Wahnsinn treiben, aber er war immer noch ihr Bruder. War sie es ihm nicht schuldig?
Sie wurde in ihrem Gedankengang unterbrochen, als Addison hereinkam. Da Schüler zugegen waren – die sich im Augenblick mehr für Autumns Unterhaltung interessierten als für ihre Kreationen –, gaben sie sich keinen Kuss, sondern verständigten sich nur mit einem Blick darauf, dass sie das später nachholen würden. Dieser Blick entging ihrem Bruder nicht, und seine Miene verdüsterte sich.
«Richard», sagte Addison herzlich. «Wie läuft’s?» Er hielt ihm die Hand hin.
Richard nahm sie etwas zögerlich.
«Was ist mit deinem Gesicht passiert?»
«Ein Missverständnis», entgegnete er knapp.
«Autumn hat den Eindruck, dass du es mit einigen harten Leuten zu tun hast.»
Richard starrte sie böse an. «Nichts, womit ich nicht klarkomme.»
«Wir können dir helfen», bot Addison freundlich an. «Du musst damit nicht allein fertig werden.»
«Ich bin keiner von euren Drogis aus der Gosse», höhnte Rich. «Glaubst du wirklich, ich wäre hergekommen, um meine Seele mit einem Bastelkurs zu retten?»
«Es gibt noch mehr, was wir tun können», fuhr Addison ruhig fort. «Andere Programme.»
«Heb dir deine Wohltätigkeit für die Hoffnungslosen daauf.» Er zeigte mit dem Daumen in Richtung von Fraser und Tasmin. Autumn wäre am liebsten im Boden versunken. «Bis später, Autumn», sagte er und ging zur Tür.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Und in dem Moment, als Richard nach der Türklinke griff, sagte eine Stimme irgendwo aus ihrem Innern: «Nein.»
Richard wirbelte herum.
«Du kannst nicht bei mir wohnen», fuhr sie fort. Sie wollte keine schlaflosen Nächte mehr, in denen sie sich Sorgen machte, wo ihr Bruder steckte, oder wen er diesmal wohl mit in die Wohnung brachte. «Es ist zu stressig für mich.»
Richard warf einen zornigen Blick auf Addison. «Ich weiß, was hier abgeht», fuhr er sie an. «Du ziehst ihn mir vor.»
«Das stimmt nicht, Richard», sagte sie. «Ich gebe dir nur endlich die Verantwortung für dein eigenes Leben zurück.» Sie dachte an Addisons Worte, ihr Verhalten fördere die Sucht ihres Bruders. Zum ersten Mal hatte sie zu Richard nein gesagt, und sie betete, dass sie das Richtige tat. Doch jetzt, wo sie angefangen hatte, sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus. «Ich kann nicht immer da sein, um die Scherben für dich zusammenzukehren.»
Richard machte ein wütendes Gesicht. «Richtig», sagte er kalt. «Dann weiß ich ja, woran ich bei dir bin.» Er stürmte zur Tür hinaus und
Weitere Kostenlose Bücher