Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
Frauen und Alkohol veredelten den Feierabend. Ja,
selbst die Lokalpresse berichtete über die beiden »jungen, erfolgreichen Kreativen«. Und eines schönen Donnerstagnachmittags,
die Sonne strahlte durch die Fensterfront auf ihre zufriedenen Gesichter, erhielten Olaf Herse und Frank Stretz eine Zusage
für ein Projekt, auf das sie sich vor Monaten beworben hatten. Leider hätten sie es nun selbst bei größter Kraftanstrengung,
da sie bis auf weiteres ausgebucht waren, kaum verwirklichen können: den Bau eines gläsernen Speiseraums für ein altsprachliches
Gymnasium!
Kurzum: Sie mussten das Büro um einen dritten Arbeitsplatz erweitern, wollten sie das ausgesprochen lukrative Angebot annehmen.
Die beiden Freunde tranken erst einmal einen Espresso, dann entkorkten sie eine Weinflasche, einen Bordeaux Saint Estèphe,
stießen an und beratschlagten, wen man hinzunehmen könne. Frank Stretz scherzte: »Wie wäre es mit Stephan Karst?« Olaf Herse
verschluckte sich am Wein, so sehr musste er lachen: »Ja klar«, sagt er, »der zerhackt uns noch den Speisesaal, wenn er schlecht
geschlafen hat!«
Im Fortlauf des Gesprächs bedauerten sie Stephan Karst dann doch ein wenig. Denn er war natürlich kein schlechter Architekt
gewesen, nur pflegte der Chef grundsätzlich fast allen Mitarbeitern, die irgendwann Anspruch auf eine unbefristete Beschäftigung
hatten, den Vertrag nicht mehr zu verlängern. Bewerbungen lagen auf seinem Schreibtisch ja immer genug herum, und gerade am
Anfang eines neuen |84| Jobs waren die Leute besonders motiviert. Wozu so was ausdehnen?
Stephan Karst aber, der nicht beachtet hatte, dass ein würdiger Abgang meist deutlich wichtiger ist als der von heftigem Beifall
begleitete Auftritt, lag zur gleichen Zeit im Bett, zu müde, um selbst am frühen Nachmittag in den Tag zu treten. Er war unfähig,
irgendwelche Bewerbungen zu schreiben, trotz der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, die sein Psychologe ihm verschrieben hatte
und die seine Lebenslust wiedererwecken sollten.
Er dachte an den vergangenen Ruhm. Alles hatte ja so gut begonnen! Im hart umkämpften Stellenmarkt für Architekten war man
bereits früh auf ihn aufmerksam geworden. Noch während des Studiums wurde Stephan Karst für den Vorentwurf einer gewagten
Häuserzeile mit einem üppig dotierten, von einer Bank ausgelobten Preis geehrt. Ein bekannter Architekturprofessor mit schütterem
Haar hielt damals die Laudatio, sprach von der Zukunft der deutschen Architektur und der Kommunikation zwischen Haus und Mensch.
Dann durfte Stephan Karst auf die mit Blumenbuketts reichlich geschmückte Bühne treten, stellte auf angenehm schüchterne Weise
kurz das Modell seiner gewagten Häuserzeile vor, und ihm wurde, während der Applaus erschallte, eine abstrakte Skulptur, die
nur sehr vage an ein Haus erinnerte und die ein Künstler eigens für diesen Preis kreiert hatte, übergeben. An die stolzen
Blicke seiner Eltern, die einfachen Verhältnissen entstammten und aufgeregt im Publikum saßen, erinnerte sich Stephan Karst
nun schmerzhaft.
|85| Das Schicksal von Stephan Karst mag uns als mahnendes Beispiel für den Grundsatz dienen, dass jede Niederlage so würdig anzunehmen
ist, dass sie bereits als Bestandteil des Gegenangriffs taugt. Denn hätte er lässig seine Sachen im Büro gepackt, noch mit
seinen Kollegen ein Bier getrunken, prächtige Laune simuliert, hätte er glaubhaft gemacht, dass er eigentlich ohnehin vorhatte
zu kündigen – blöde Festanstellung! –, ja, dann hätten Olaf Herse und Frank Stretz nun womöglich um ihn gebuhlt.
Übrigens wollen wir an dieser Stelle durchaus nicht verschweigen, dass Olaf Herse und Frank Stretz nach zwei Jahren freiberuflicher
Tätigkeit aufgrund einer allgemeinen Krise des Baugewerbes in die allergrößten Schwierigkeiten gerieten. Sie schrieben daraufhin
eifrig Bewerbungen zwecks einer Festanstellung; dieses Vorhaben aber, wie man sich denken kann, war nicht unmittelbar von
Erfolg gekrönt. Doch diese Tatsache schmälert keineswegs die Maxime unserer Geschichte.
PS: All dies gilt übrigens auch in Angelegenheiten der Liebe. Wer einer Frau seine Zuneigung gesteht, sehr zaghaft, etwa mit
den Worten: »Du, weißt du, ich mag dich schon sehr«, und darauf zu hören bekommt: »Ich dich auch. Aber, verstehe mich bitte
nicht falsch, eher freundschaftlich«, darf keinesfalls zornig oder unterkühlt reagieren. Sondern immer mit Fassung. Nur von
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