Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
Abend
zuvor gesehene Talkshow, bei der sich irgendein Gast danebenbenommen hatte und sagte, er habe von einem Freund gehört, dabei
blickte er aufrichtig interessiert, dass Sie seit längerer Zeit schon an einem Porträt über den Schauspieler Walter Sindman
sitzen, ja, dass Sie das Glück gehabt haben, Ihn mehrmals schon interviewen zu dürfen, den scheuen Star, an den sonst niemand
herankommt … Wenzel wartete Ihre Entgegnung nicht ab, fuhr fort: Es gebe ja dieses Gerücht, dass Sindman mit seiner blendend
aussehenden Frau nach Deutschland zu ziehen beabsichtige? Was Sie über dieses Gerücht denken, fragte er nunmehr wie beiläufig.
|90| Sie blicken erschrocken: »Nein, da ist nichts dran! Sindman zieht nicht nach Deutschland!« Das wüssten Sie genau, Sie hätten
ihn, Sindman, erst gestern mit dieser Frage konfrontiert, und er hätte sie verneint. All dies sagen Sie unter großer Aufregung,
Sie stottern leicht, versuchen sogar auf ziemlich unbeholfene Weise das Gesprächsthema zu wechseln und verabschieden sich,
nachdem Sie gemeinsam im Zentrum der Stadt ausgestiegen sind, rasch, ja beinahe panisch von Wenzel, der zum Abschied Sie beinahe
höhnisch anlacht.
Am nächsten Morgen blättern Sie sich am Küchentisch durch die Tagespresse. Die Zeitung Wenzels wartet mit einer kleinen Sensation
auf, ringt sich nunmehr als erste von allen Boulevardblättern zur nur wenig begründeten Schlagzeile durch: »Sindman zieht
nach Deutschland.«
Sie schauen aus dem Fenster: Noch immer das trübste Wetter auf Erden. Doch an diesem Tag fühlen Sie sich ein klein wenig besser.
Denn alle blenden. Sie aber blenden alle, indem Sie ab und an die Wahrheit sagen.
[ Menü ]
|91| 15 MORALISCHE ENTRÜSTUNG BEKUNDEN
S tellen Sie sich einen Mann vor, er heißt Sebastian, der sich nach einer lange andauernden, beziehungslosen Zeit heftig verliebt.
Wie oft hat Sebastian innerlich rastlose Abende vor dem Fernseher verbracht, sich abzulenken versucht, wie oft ist er mit
seinem besten Freund, mit Christian (auch er Programmierer von Beruf), durch die Lokale der Stadt gezogen, über dies und das
redend, zumeist über Immobilien oder den Job, während seine Blicke verstohlen die Frauen in Cafés abtasteten.
Als das dritte Bier an einem Freitagabend bestellt war, nahmen die beiden Freunde erneut die aus Gewohnheit geführte Diskussion
über Wohnungspreise auf, wie sie sich wohl entwickeln würden in diesem oder jenem Viertel, als ihr Tisch, scheinbar wie von
selbst, heftig ruckelte, da sich jemand im Vorbeigehen, das Lokal war überfüllt, darauf kurz abgestützt haben musste. »Hej!«,
rief Christian empört. Die Angesprochene, er hatte zu spät bemerkt, dass es eine Frau war, drehte sich daraufhin um und schenkte
ihm ein entschuldigendes Lächeln, das ihn augenblicklich verstummen ließ.
Ausgesprochen selten passiert es, dass man jemand Fremdes |92| in einer Bar kennenlernt, von ganz flüchtigen und nichtssagenden Begegnungen abgesehen. Die beinahe gestrauchelte Frau, die
der Tisch vor einem Sturz bewahrt hatte, sollten die Freunde noch ziemlich gut kennenlernen. Als sie nämlich von ihrem Toilettengang
zurückgekehrt war, wurde sie von Christian, unter dem Vorwand, sich für sein empörtes »Hej« zu entschuldigen, auf ein Bier
eingeladen. Und sie sagte, da er die Anfrage mit allerlei scherzhaften Bemerkungen schmückte, nicht nein. Wohl deshalb auch
setzte sie sich zu unseren beiden Männern hinzu, da ihre Freundin, wie sie gleich erzählte, sie versetzt hatte. Eigentlich
sei sie bereits im Begriff gewesen, das Lokal wieder zu verlassen.
Man sprach, was immer ein guter Gesprächsbeginn ist, über die Stadt, in der man lebte, über Kneipen, Restaurants, irgendwelche
Stadtteile und deren Eigenheiten. Natürlich war auch schnell die Rede von beruflichen Tätigkeiten. Kirsten, so hieß die Frau,
organisierte, nachdem sie ihr Studium abgeschlossen hatte, Konzerte, überwiegend für Jazz-Bands der Umgebung.
Sebastian beobachtete sie aufmerksam, sah, dass sie, wenn sie laut auflachte, mit ihrer Rechten sich durch das Haar fuhr,
immer eine Spur zu hastig, auch, dass ein vorderer Schneidezahn ein winziges Stück kleiner war als sein Bruder; die einzige
Verunzierung, wie ihm schien, da sie ansonsten völlig makellos aussah, ein winziger Schaden, der ihr erst recht etwas ungeheuer
Anziehendes verlieh. Auch mochte er ihre leicht fiebrig vorgebrachten Begeisterungsbekundungen über diverse
Weitere Kostenlose Bücher