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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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Ihrer Gegenwart.«
    »Das ist offen, Gill. Jetzt höre ich Ihnen zu«, sagte Pam.
    »Also, Pam«, sagte Julius, »es sind zwei Männer hier – Philip und Gill –, die Angst vor Ihnen haben. Wie ist Ihre Reaktion darauf?«
    »Ganz einfach: Das ist ihr Problem.«
    »Besteht die Möglichkeit, dass es auch Ihr Problem ist?«, fragte Rebecca. »Vielleicht haben andere Männer in Ihrem Leben genauso empfunden.«
    »Ich werde darüber nachdenken.«
    »Irgendein Feedback zu diesem letzten Wortwechsel?«, fragte Julius.
    »Ich glaube, Pam drückt sich ein bisschen«, sagte Stuart.
    »Finde ich auch. Ich habe das Gefühl, dass Sie nicht allzu lange darüber nachdenken werden, Pam«, sagte Bonnie.
    »Da haben Sie absolut Recht. Ich glaube, es nagt noch an mir, dass Rebecca gesagt hat, sie wolle Philip vor meiner Wut schützen.«
    »Das ist ein Dilemma, oder, Pam?«, sagte Julius. »Gill gegenüber haben Sie behauptet, Sie hätten gern ein offenes Feedback. Aber wenn Sie es dann kriegen, autsch, das tut weh.«
    »Das stimmt – also bin ich vielleicht nicht so unempfindlich, wie ich wirke. Und, Rebecca, es tat weh.«
    »Tut mir Leid, Pam«, sagte Rebecca, »das war nicht meine Absicht. Philip zu unterstützen ist nicht identisch mit einem Angriff gegen Sie.«
    Julius wartete und fragte sich, in welche Richtung er die Gruppe lenken sollte. Es gab zahlreiche Möglichkeiten. Pams Wut und Scharfzüngigkeit standen zur Diskussion. Und was war mit den anderen Männern, Tony und Stuart? Welchen
Platz nahmen sie ein? Und die Konkurrenz zwischen Pam und Rebecca musste auch angesprochen werden. Oder sollte sich die Gruppe der unerledigten Angelegenheit mit Bonnie und ihrem spöttischen Ausruf widmen? Oder sich vielleicht eher auf Pams Ausbruch gegen Philip konzentrieren? Er wusste, dass es am besten war, geduldig zu sein; es wäre ein Fehler, zu sehr zu drängen. Nach nur wenigen Treffen hatte ein definitiver Fortschritt hin zur Entspannung stattgefunden. Vielleicht hatten sie für heute genug gearbeitet. Schwer einzuschätzen allerdings; Philip gab nicht viel preis. Doch dann schlug die Gruppe zu Julius’ Überraschung eine unerwartete Richtung ein.
    »Julius«, fragte Tony, »wie geht es Ihnen denn mit der Reaktion auf Ihre Enthüllung?«
    »Na ja, sehr weit sind wir nicht gekommen. Mal nachdenken, was passiert ist. Sie erzählten mir, wie Sie sich fühlten, desgleichen Pam, und dann stritten sie und Philip sich darüber, dass er bei meiner Enthüllung nichts empfunden hatte. Und Tony, ich habe ihre Frage, Warum jetzt?, eigentlich noch nicht beantwortet. Kehren wir dazu zurück.« Julius ließ sich Zeit, um seine Gedanken zu sammeln, da er sich nur allzu bewusst war, dass seine Selbstoffenbarung oder die eines jeden Therapeuten immer eine doppelte Wirkung hatte: erstens die, was er für sich persönlich daraus gewann, und zweitens ihre Vorbildfunktion für die Gruppe.
    »Ich kann Ihnen sagen, dass ich mich nicht davon abhalten lassen wollte preiszugeben, was ich getan hatte. Ich meine, fast jeder hier versuchte, mich zu bremsen, aber ich war dickköpfig, absolut entschlossen fortzufahren. Das ist sehr ungewöhnlich bei mir, und ich weiß nicht genau, ob ich es richtig verstehe, doch etwas Wichtiges gibt es. Sie erkundigten sich, Tony, ob ich um Hilfe bitten wollte – oder vielleicht um Vergebung. Nein, das war es nicht; ich habe mir schon vor langer Zeit selbst verziehen, nachdem ich Jahre lang mit meinen Freunden und einem Therapeuten daran gearbeitet habe. Eins kann ich
Ihnen mit Sicherheit sagen: Früher, ich meine, vor meinem Melanom, hätte ich in tausend Jahren nicht mit der Gruppe darüber gesprochen.«
    »Vor meinem Melanom«, fuhr Julius fort. »Das ist das Entscheidende. Über uns allen schwebt ein Todesurteil – ich weiß, Sie bezahlen mich gut für solch fröhliche Verlautbarungen –, aber zu erleben, dass es beglaubigt, abgestempelt und sogar datiert wird, hat mich bestimmt aufmerksamer gemacht. Durch mein Melanom habe ich ein seltsames Gefühl der Befreiung, das eine Menge damit zu tun hat, dass ich mich heute offenbart habe. Vielleicht habe ich mich deshalb nach einem Co-Therapeuten gesehnt – jemandem, der objektiv sein und gewährleisten kann, dass ich weiterhin in Ihrem Interesse handle.«
    Julius hielt inne. Dann fügte er hinzu: »Mir ist aufgefallen, dass keiner von Ihnen vorhin reagiert hat, als ich bemerkte, wie fürsorglich Sie heute zu mir sind.«
    Nach einigen Momenten des Schweigens sagte er:

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