Die Schopenhauer-Kur
korrektes Zitieren. Sie glauben also, Schopenhauer hat mal was verschwommen Ähnliches gesagt. Was für ein beschissen dicker Hund!«
Philip schloss die Augen und fing an zu rezitieren: »›Man ist mit einem Male, zu seiner Verwunderung, da, nachdem man zahllose Jahrtausende hindurch nicht gewesen und nach einer kurzen Zeit ebenso lange wieder nicht zu sein hat.‹ Ich habe viel von Schopenhauer auswendig gelernt: dritter Absatz seines Aufsatzes ›Nachträge zur Lehre von der Nichtigkeit des Daseins‹. Ist das verschwommen genug für Sie?« Ref 107
»Kinder, Kinder, hört auf damit«, sagte Bonnie mit hoher Stimme.
»Sie machen sich ja mal richtig Luft, Bonnie. Das gefällt mir«, kommentierte Tony.
»Sonst irgendwelche Gefühle dazu?«, fragte Julius.
»In dieses Kreuzfeuer möchte ich nicht geraten. Da werden schwere Geschütze aufgefahren«, sagte Gill.
»Ja«, meinte Stuart, »keiner von beiden lässt sich die Gelegenheit zu einem Hieb entgehen. Philip muss darauf hinweisen, dass Schopenhauers Idee von jemand anderem genutzt wurde, und Pam lässt es sich nicht nehmen, Philip als einen monströsen Witz zu bezeichnen.«
»Ich habe nicht gesagt, dass er ein monströser Witz ist. Ich habe gesagt –«
»Kommen Sie wieder runter, Pam, das ist Wortklauberei. Sie wissen, was ich meine.« Stuart behauptete sich. »Und dieser Ausbruch wegen Nabokov – der war sowieso daneben, Pam. Sie machen seinen Helden schlecht, und dann loben Sie jemanden, der sich bei Schopenhauer die Gedanken ausborgt. Was ist so falsch daran, dass Philip das gerade rückt? Wieso ist es ein solches Verbrechen, wenn er auf Schopenhauers Vorrang hindeutet?«
»Ich muss was sagen«, warf Tony ein. »Wie üblich, weiß ich nicht, wer diese Typen sind – zumindest nicht Nabo . . . Nobo?«
»Nabokov«, sagte Pam mit der sanften Stimme, die Tony vorbehalten war. »Er ist ein großer russischer Schriftsteller. Sie haben vielleicht von seinem Roman Lolita gehört.«
»Ja, habe ich. Also, bei solchen Gesprächen gerate ich in einen Teufelskreis – wenn ich was nicht weiß, komme ich mir blöd vor, dann halte ich den Mund, und dann komme ich mir noch blöder vor. Ich muss einfach weiter versuchen, dieses Muster zu durchbrechen, indem ich kein Blatt vor den Mund nehme.« Er wandte sich Julius zu. »Das ist also die Antwort auf
Ihre Frage nach Gefühlen, denn das ist ein Gefühl – blöd zu sein. Und noch eins: Als Philip fragte: ›Ist das verschwommen genug für Sie?‹, konnte ich einen Moment lang seine Zähne sehen – und die sind scharf, sehr scharf. Und dann noch ein Gefühl zu Pam«, Tony wandte sich ihr zu, »Pam, Sie sind meine Beste, aber eins muss ich Ihnen sagen: Ich möchte Sie nicht zur Feindin haben. «
»Habe verstanden«, sagte Pam.
»Und, und . . .«, sagte Tony, »das Wichtigste habe ich vergessen – dieser ganze Streit hat uns völlig vom Thema abgebracht. Wir hatten doch darüber geredet, ob wir Sie womöglich beschützen oder Ihnen ausweichen, Julius. Dann kam die Sache mit Pam und Philip dazwischen. Weichen wir Ihnen damit nicht wieder aus?«
»Wissen Sie, den Eindruck habe ich momentan nicht. Wenn wir so engagiert arbeiten wie jetzt, verfolgen wir nie nur einen einzigen Weg. Der Strom der Gedanken bricht sich immer neue Bahn. Und übrigens«, Julius wandte sich an Philip, »den Begriff engagiert habe ich absichtlich benutzt. Ich glaube, Ihre Wut – die wir hier zum ersten Mal durchscheinen sahen – ist ein echtes Zeichen von Engagement. Ich glaube, Ihnen liegt genug an Pam, um wütend auf sie zu sein.«
Julius wusste, dass Philip nicht von selbst antworten würde, deshalb hakte er nach. »Philip?«
Kopfschüttelnd erwiderte Philip: »Ich weiß nicht, wie ich Ihre Hypothese beurteilen soll. Aber ich möchte etwas anderes sagen. Ich gestehe, dass ich wie Pam auch nach etwas Tröstlichem oder wenigstens Relevantem gesucht habe, das ich Ihnen sagen könnte. Ich habe mir Schopenhauers Gewohnheit zu Eigen gemacht, jeden Tag damit zu beenden, dass ich in den Werken von Epiktet oder in den Upanischaden lese.« Philip schaute in Tonys Richtung. »Epiktet war ein römischer Philosoph des 2. Jahrhunderts, und die Upanischaden sind alte religiöse hinduistische Texte. Neulich las ich bei Epiktet eine Passage, die meiner Meinung nach von Wert sein könnte, und ich habe
Kopien davon gemacht. Ich habe sie aus dem Lateinischen frei in zeitgenössische Volkssprache übersetzt.« Philip langte in seine Aktentasche,
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