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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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feuern konnten, bot er ihnen sein Opernglas an, um die Treffsicherheit ihrer Gewehrschüsse zu steigern. Zwölf Jahre später hinterließ er in seinem Testament fast sein ganzes Vermögen einem Fonds, der zum Wohl preußischer Soldaten eingerichtet worden war, die aus dem Kampf gegen diese Revolte als Versehrte hervorgegangen waren.
    Seine von Angst bestimmten Briefe über geschäftliche Angelegenheiten waren oft mit wütenden Drohungen gespickt. Als der Bankier, dem das Geld der Familie Schopenhauer anvertraut war, eine katastrophale finanzielle Schlappe erlitt und seinen Investoren, um dem Bankrott zu entgehen, nur einen kleinen Teil ihrer Einlagen bot, drohte ihm Schopenhauer derart drakonische juristische Konsequenzen an, dass der Bankier ihm siebzig Prozent seines Geldes erstattete, während er anderen (darunter Schopenhauers Mutter und Schwester) eine noch kleinere Summe zahlte als ursprünglich vorgesehen. Seine ausfallenden Briefe an seinen Verleger resultierten irgendwann in einem dauerhaften Bruch zwischen den beiden. Der Verleger schrieb ihm: »(Ich) werde... daher Ihre etwaigen Briefe, die ohnehin in ihrer göttlichen Grobheit und Rusticität eher auf einen Vetturio als einen Philosophen schließen lassen möchten, gar nicht annehmen . . . Ich hoffe nur, daß meine Befürchtungen an Ihrem Werke blos Maculatur zu drucken, nicht in Erfüllung gehen werden.« Ref 118

    Schopenhauers Jähzorn war legendär: Jähzorn gegen Finanziers, die seine Investitionen betreuten, gegen Verleger, die es nicht schafften, seine Bücher zu verkaufen, gegen die Dummköpfe, die versuchten, ihn ins Gespräch zu ziehen, gegen die Zweifüßler, die sich als ihm gleichwertig erachteten, gegen alle, die in Konzerten husteten, und gegen die Presse, weil sie ihn ignorierte. Doch seine wirkliche Rage, jene rasende Wut, deren Vehemenz uns heute noch erstaunt und die Schopenhauer in der Gemeinschaft der Intellektuellen zu einem Aussätzigen machte, galt zeitgenössischen Denkern, insbesondere den zwei führenden Persönlichkeiten der Philosophie des 19. Jahrhunderts : Fichte und Hegel.
    In einem Buch, das zwanzig Jahre erschien, nachdem Hegel während der Epidemie in Berlin der Cholera erlegen war, bezeichnete er Hegel als einen »geist- und geschmacklosen ... Scharlatan«. Ref 119
    Solche ungezügelten Ausbrüche gegen andere Philosophen kamen ihn teuer zu stehen. 1837 gewann er in einem Wettbewerb, der von der Königlich-Norwegischen Societät der Wissenschaften ausgeschrieben worden war, mit einem Aufsatz über die Freiheit des Willens den ersten Preis. Schopenhauer zeigte ein kindliches Entzücken über die Auszeichnung (es war seine allererste Ehrung) und irritierte den norwegischen Konsul in Frankfurt zutiefst damit, dass er ungeduldig nach seinem Preis verlangte. Im nächsten Jahr dagegen war seinem Aufsatz über die Grundlagen der Moral, eingereicht bei der Königlich-Dänischen Societät der Wissenschaften, ein anderes Schicksal beschieden. Obwohl seine Argumentation hervorragend und sein Aufsatz der einzig vorliegende war, weigerte sich die Jury wegen seiner maßlosen Bemerkungen über Hegel, ihm einen Preis zuzuerkennen. Ihr Kommentar dazu war: »Auch . . . kann nicht verschwiegen werden, daß mehrere hervorragende Philosophen der Neuzeit so unziemlich erwähnt werden, daß es gerechten und schweren Anstoß erregt.« Ref 120

    Im Laufe der Jahre haben sich viele Schopenhauers Meinung, dass Hegels Prosa unnötig verwirrend sei, uneingeschränkt angeschlossen. Er ist tatsächlich so schwer zu lesen, dass ein alter Witz, der in Philosophiefakultäten die Runde machte, lautete, die umstrittenste philosophische Frage sei nicht: »Hat das Leben einen Sinn?« oder: »Was ist Bewußtsein ?«, sondern: »Wer liest dieses Jahr Hegel?« Trotzdem unterschied sich Schopenhauer in der Heftigkeit seiner Wut von allen anderen Kritikern.
    Je mehr sein Werk missachtet wurde, desto schriller wurde er, was wiederum weitere Missachtung hervorrief und ihn für viele zum Gegenstand des Spotts machte. Dennoch überlebte Schopenhauer trotz seiner Ängstlichkeit und Einsamkeit und stellte auch weiterhin alle äußeren Zeichen persönlicher Selbstgenügsamkeit zur Schau. Und er verfolgte seine Arbeit beharrlich, blieb bis zu seinem Lebensende ein produktiver Gelehrter. Das Vertrauen in sich selbst verlor er nie. Er verglich sich mit einer jungen Eiche, die so gewöhnlich und unbedeutend aussieht wie andere Pflanzen: »Aber laß nur die Zeit kommen und

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