Die Schopenhauer-Kur
zum Nachdenken habe – Tony, Sie haben mir einiges erschlossen. Danke.«
»Brauche ich dann«, fragte Tony grinsend, »heute nicht zu zahlen?«
»Gesegnet ist, wer gibt«, sagte Julius. »Aber wer weiß? Machen Sie so weiter, dann kommt der Tag vielleicht.«
Nachdem sie den Gruppenraum verlassen hatten, standen die Mitglieder plaudernd auf der Treppe vor Julius’ Haus, ehe sie sich zerstreuten. Nur Tony und Pam strebten in Richtung Café.
Pam war auf Philip fixiert. Seine Aussage, es sei ihr Pech gewesen, ihn kennen zu lernen, hatte sie nicht besänftigen können. Außerdem war sie wütend über sein Kompliment zu ihrer Interpretation der Parabel und noch wütender, weil sie sich darüber gefreut hatte. Sie war in Sorge, dass die Gruppe zu Philip überlaufen würde – weg von ihr, weg von Julius.
Tony war in Hochstimmung; er wählte sich selbst zum WTT – dem wertvollsten Teilnehmer des Treffens; vielleicht würde er die Kneipenszene heute Abend links liegen lassen und versuchen, eins der Bücher zu lesen, die Pam ihm gegeben hatte.
Gill beobachtete, wie Pam und Tony zusammen die Straße entlanggingen. Er und natürlich Philip waren die einzigen gewesen, die Pam nach der Sitzung nicht umarmt hatte. War er
ihr zu sehr in die Quere gekommen? Gill wandte seine Aufmerksamkeit der morgigen Weinprobe zu – einem von Roses großen Abenden. Um diese Jahreszeit traf sie sich immer mit einer Gruppe von Freunden, um die besten Weine des Jahres zu verkosten. Wie sollte er sich verhalten? Den Wein einfach im Mund hin und her bewegen und ausspucken? Ziemlich schwierig, das durchzuziehen. Oder direkt mit der Wahrheit rausrücken? Er dachte an seinen AA-Sponsor und wusste, wie das Gespräch zwischen ihnen ablaufen würde:
Sponsor: Wo sind Ihre Prioritäten? Lassen Sie die Veranstaltung sausen, gehen Sie zu einem AA-Treffen.
Gill: Aber die Weinprobe ist der Grund dafür, dass diese Freunde zusammenkommen.
Sponsor: Ach ja? Schlagen Sie was anderes vor.
Gill: Das klappt nicht. Da machen die nicht mit.
Sponsor: Dann suchen Sie sich neue Freunde.
Gill: Das wäre Rose nicht recht.
Sponsor: Na und?
Echter Input bringt echten Output. Echter Input bringt echten Output, sagte Rebecca vor sich hin. Das muss ich mir merken. Sie lächelte, als sie daran dachte, wie Tony sein Geld herausgeholt hatte, als sie über ihren Flirt mit der Hurerei gesprochen hatte. Insgeheim hatte ihr das einen Kick gegeben. War es arglistig gewesen, eine Entschuldigung von ihm anzunehmen?
Bonnie missfiel es wie immer, dass das Treffen zu Ende war. In diesen anderthalb Stunden fühlte sie sich lebendig. Ihr sonstiges Dasein schien ihr dagegen lauwarm. Woran lag das? Warum mussten Bibliothekarinnen ein langweiliges Leben führen ? Dann dachte sie an Philips Aussage darüber, was man ist, was man hat und was man für andere darstellt. Spannend!
Stuart hatte die Sitzung genossen. Allmählich ging er ganz in der Gruppe auf. Er wiederholte in Gedanken, was er zu Rebecca gesagt hatte, dass nämlich ihr gutes Aussehen ein Hindernis
sei, sie kennen zu lernen, und dass er in letzter Zeit mehr von ihr gesehen hatte als ihre Oberfläche. Das war gut. Das war richtig gut. Und dass er Philip gesagt hatte, seine kalte Form des Trostes habe ihn erschauern lassen. Das war mehr, als eine Kamera zu sein. Und dann noch, dass er auf die Spannung zwischen Pam und Philip hingewiesen hatte. Ach nein, das war Kamerakram.
Philip mühte sich auf seinem Heimweg, nicht an das Treffen zu denken, aber das Vorgefallene wirkte zu stark nach, um es auszublenden. Nach wenigen Minuten gab er klein bei und erlaubte seinen Gedanken freien Lauf. Der alte Epiktet hatte sie in seinen Bann gezogen. Das tat er immer. Dann sah er vor sich, wie ihm Hände entgegengestreckt und Gesichter zugewandt wurden. Gill war sein Fürsprecher geworden – aber nicht ernst zu nehmen. Gill war nicht für ihn, sondern gegen Pam, weil er zu lernen versuchte, wie er sich gegen sie und Rose und alle anderen Frauen wehren konnte. Rebecca hatte gefallen, was er gesagt hatte. Ihr schönes Gesicht stand ihm kurz vor Augen. Und dann dachte er an Tony – die Tätowierungen, die geprellte Wange. Er war noch niemandem wie ihm begegnet – einem echten Primitiven, aber einem, der begann, eine Welt jenseits der Alltäglichkeit zu erfassen. Und Julius – büßte er seinen Scharfsinn ein? Wie konnte er Bindungen verteidigen und gleichzeitig seine Fixierung auf Philip als Patienten eingestehen?
Philip war
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