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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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zurück. »Was ist mit dem Kontrakt zwischen Lehrer und Studentin?«
    Philip schaute auf seine Uhr, erhob sich und verkündete: »Punkt sechs. Ich bin meinen zeitlichen Verpflichtungen nachgekommen.« Er verließ den Raum und murmelte dabei vor sich hin: »Genug im Schmutz gewatet für heute.«
    Es war das erste Mal, dass jemand anders als Julius ein Treffen beendete.

»Dem dargelegten Charakter der Sache gemäß wird nach
dem endlich erlangten Genuß jeder Verliebte eine
wundersame Enttäuschung erfahren und darüber staunen,
daß das so sehnsuchtsvoll Begehrte nichts mehr leistet als
jede andere Geschlechtsbefriedigung; so daß er sich nicht
mehr dadurch gefördert sieht.« Ref 132
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    Das Verlassen des Gruppenraums entfernte nicht den Schmutz und das Durcheinander aus Philips Kopf. Von Angst befallen, ging er die Fillmore Street entlang. Was war aus seinem Arsenal von Selbstbeschwichtigungstechniken geworden? Alles, was ihm so lange Struktur geboten und für Gleichmut gesorgt hatte, löste sich auf – seine geistige Disziplin, seine kosmische Perspektive. Um Gefasstheit bemüht, instruierte er sich: Kämpf nicht dagegen an, wehr dich nicht, betrachte nur das vorüberziehende Schauspiel deiner Gedanken. Lass sie einfach in dein Bewusstsein und wieder hinaus wandern.
    Herein wanderten die Gedanken zwar, aber nicht hinaus. Stattdessen packten Bildnisse ihre Koffer aus, hängten ihre Mäntel auf und richteten es sich in seinem Kopf häuslich ein. Pams Gesicht trat ihm vor Augen. Er konzentrierte sich auf ihr Bild, das sich zu seinem Erstaunen verwandelte, indem es Jahre abwarf: Ihre Züge wurden immer jünger, und bald stand die Pam vor ihm, die er vor so vielen Jahren gekannt hatte. Wie seltsam es war, das Junge im Alten zu entdecken! Meistens widerfuhr ihm das Gegenteil – er sah die Zukunft in der Gegenwart, den Totenschädel unter der makellosen Haut der Jugend.

    Wie strahlend ihr Gesicht war! Und so überraschend deutlich ! Wie war es möglich, dass von all den Horden, den Hunderten von Frauen, in deren Körper er eingedrungen war und deren Gesichter verblasst, zu einem einzigen archetypischen Antlitz verschmolzen waren, Pams Gesicht in solch bemerkenswertem Detail fortbestand?
    Dann traten zu seiner Verwunderung noch klarere Fetzen der Erinnerung an die junge Pam in sein Blickfeld: an ihre Schönheit, ihre spontane Erregung, als er ihr mit seinem Gürtel die Handgelenke fesselte, ihre sprudelnden Orgasmen. Seiner eigenen sexuellen Erregung entsann er sich nur vage – eine wortlose Abfolge von Beckenbewegungen, auf und ab, dann die Ekstase. Er erinnerte sich auch, dass er viel zu lange in ihren Armen verweilt hatte. Genau aus diesem Grund war sie ihm als gefährlich erschienen, und er hatte an Ort und Stelle beschlossen, sie nicht wiederzusehen. Sie stellte eine Bedrohung seiner Freiheit dar. Die Beute, auf die er aus war, bot schnelle sexuelle Entspannung – sie verhalf ihm zu gesegnetem Frieden und Zurückgezogenheit. Er wollte keine Sinnlichkeit. Er wollte Freiheit; er wollte der Knechtschaft des Verlangens entrinnen, um, wenn auch noch so kurz, auf die wunschfreie Lichtung der wahren Philosophen zu treten. Nur nach der sexuellen Entspannung konnte er erhabenen Gedanken nachhängen und sich so seinen Freunden anschließen – den großen Denkern, deren Bücher persönlich an ihn gerichtete Briefe waren.
    Mehr Fantasien stiegen in ihm auf; seine Leidenschaft überwältigte ihn und sog ihn förmlich in sich hinein. Er verzehrte sich, er begehrte, er spürte Verlangen. Und mehr als alles andere wünschte er sich, Pams Gesicht in den Händen zu halten. Geordnete Zusammenhänge zwischen Gedanken lösten sich auf. Er sah einen Seelöwen vor sich, umringt von einem Harem von Kühen, dann einen jaulenden Köter, der sich immer wieder an einen Maschendrahtzaun warf, der ihn von einer läufigen Hündin trennte. Er fühlte sich wie ein primitiver,
Keulen schwingender Höhlenmensch, der mit einem Grunzen seine Konkurrenten warnte. Er wollte sie besitzen, sie ablecken, sie riechen. Er dachte an Tonys muskulöse Unterarme, an Popeye, der seinen Spinat verschlang und die leere Dose hinter sich warf. Er sah, wie Tony sie bestieg – ihre Beine gespreizt, umschlang sie ihn. Diese Muschi sollte ihm gehören, nur ihm. Sie hatte kein Recht, sie zu beschmutzen, indem sie sie Tony darbot. Alles, was sie mit Tony tat, besudelte seine Erinnerung an sie, machte sein Erlebnis mit ihr ärmer. Ihm war übel. Er war ein

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