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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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persönlich und offen an; ich habe Ihnen gesagt, was ich von Ihnen halte, ich habe Sie als obersten Gerichtshof bezeichnet, aber nichts kommt bei Ihnen an – ich spiele immer noch keine Rolle. Sie haben nur Augen für Philip . . . und Tony. Und ich finde, dass ich Ihnen wichtige Sachen vorgebe – und hier noch was: Ich glaube, ich weiß, warum John gekniffen hat: nicht, weil er ein Feigling war; es lag an Ihren Wutanfällen.«
    Pam schwieg, in Gedanken versunken.
    »Heute treten viele machtvolle Gefühle zu Tage. Schauen wir sie uns näher an und versuchen wir, sie zu verstehen. Irgendeine Idee?«, fragte Julius.
    »Ich bewundere Pams Ehrlichkeit«, sagte Bonnie, »und ich verstehe, wie verletzt sie ist. Und ich finde es auch gut, dass Gill sie angreift. Sie haben sich erstaunlich verändert, Gill, und das begrüße ich, aber manchmal wünsche ich mir, dass Sie Philip sich selbst verteidigen lassen. Ich begreife nicht, wieso er das nicht tut.« Sie wandte sich an Philip. »Warum nicht?«
    Philip schüttelte den Kopf und äußerte sich nicht.
    »Wenn er nicht sprechen will, antworte ich für ihn«, sagte Pam. »Er befolgt Anweisungen von Arthur Schopenhauer.« Sie holte einen Zettel aus Ihrer Handtasche, überflog ihn und las vor:
    »Sprich ohne Gefühl.
    Sei nicht spontan.
    Bleib unabhängig von anderen.

    Sieh dich als jemanden, der in einer Stadt lebt, in der du die einzige Uhr hast, die richtig geht – sie wird dir gute Dienste leisten.
    Wer nicht achtet, wird geachtet.«
    Philip nickte anerkennend und erwiderte. »Ihre Lektüre gefällt mir. Hört sich für mich nach guten Ratschlägen an.«
    »Was soll das?«, fragte Stuart.
    »Habe ein bisschen in Schopenhauer rumgestöbert«, sagte Pam und hielt ihre Notizen hoch.
    Rebecca brach das Schweigen, das darauf folgte. »Tony, wo sind Sie? Was ist los mit Ihnen?«
    »Das Sprechen fällt mir schwer heute«, sagte Tony kopfschüttelnd. »Ich fühle mich lahm gelegt, wie erstarrt.«
    Zur allgemeinen Überraschung entgegnete Philip. »Ich glaube, ich verstehe Ihre Hemmungen, Tony. Es ist so, wie Julius sagte. Sie sind in der Zwickmühle von zwei gegensätzlichen Anforderungen: Man erwartet von Ihnen, dass Sie in der Gruppe mitarbeiten, indem Sie sich freimütig äußern, und gleichzeitig versuchen Sie, loyal gegenüber Pam zu bleiben.«
    »Ja, das erkenne ich«, erwiderte Tony, »aber die Erkenntnis reicht nicht, befreit mich nicht. Aber trotzdem: Danke. Und hier noch was für Sie. Was Sie eben sagten – Sie wissen schon, dass Sie Julius in seiner Meinung unterstützen, also, das ist das erste Mal bei Ihnen – dass Sie ihn nicht in Frage stellen, meine ich – eine große Veränderung, Mann.«
    »Die Erkenntnis reicht nicht, sagen Sie. Was wäre denn sonst noch nötig?«, wollte Philip wissen.
    Tony schüttelte den Kopf. »Das ist nicht leicht heute.«
    »Ich glaube, ich weiß, was helfen würde«, sagte Julius und wandte sich an Tony. »Sie und Pam weichen einander aus, äußern Ihre Gefühle nicht. Vielleicht sparen Sie sich das ja für später auf. Ich weiß, es ist schwierig, aber könnten Sie hier schon damit anfangen? Sie sollten vielleicht versuchen, miteinander zu sprechen, nicht mit uns.«

    Tony holte tief Luft und wandte sich Pam zu. »Ich fühle mich nicht wohl, irgendwie aus dem Gleichgewicht. Ich bin sauer darüber, wie sich das alles abgespielt hat. Ich kapiere nicht, warum du nicht erst bei mir angerufen hast, um es zu bequatschen, um mich auf heute vorzubereiten?«
    »Tut mir Leid. Aber wir wussten doch beide, dass es irgendwann raus musste. Wir haben auch darüber geredet.«
    »Das war’s? Mehr hast du nicht zu sagen? Und was ist mit heute Abend? Sind wir noch verabredet?«
    »Es wird zu kompliziert, wenn wir uns weiter treffen. Nach den Regeln müssten wir hier über unsere Beziehung sprechen, und ich möchte meinen Vertrag mit der Gruppe einhalten. Ich kann so nicht weitermachen; vielleicht, wenn die Gruppe sich aufgelöst hat –«
    »Sie haben ein äußerst bequemes und flexibles Verhältnis zu Verträgen«, unterbrach Philip sie, wobei er untypische Anzeichen von Erregung zeigte. »Sie halten sie ein, wenn es Ihnen passt. Als ich darauf hinweise, dass ich meinen sozialen Kontrakt mit Ihnen in der Vergangenheit eingehalten habe, verunglimpfen Sie mich. Sie dagegen brechen die Regeln der Gruppe, sie treiben heimliche Spielchen, Sie benutzen Tony nach Lust und Laune.«
    »Ausgerechnet Sie sprechen von Kontrakten?«, schoss Pam lautstark

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