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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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was seitdem passiert ist. Sie haben sich verändert: Sie sind präsent; Sie sind mir gegenüber offener und direkter als sonst jemand hier, und trotzdem war ich einfach zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um das anzuerkennen. Das tut mir Leid.«
    Gill akzeptierte die Entschuldigung. »Und was war mit dem Feedback, das ich Ihnen gegeben habe? Konnten Sie was damit anfangen ?«
    »Also, Ihr Ausdruck oberster Gerichtshof hat mich Tage lang erschüttert. Er saß, brachte mich zum Nachdenken. Aber was mich am meisten traf, war, dass Sie sagten, John hätte sich nicht aus Feigheit geweigert, seine Frau zu verlassen, sondern weil er sich meiner Wut nicht aussetzen wollte. Das machte mich echt nachdenklich. Ich kriegte Ihre Worte nicht mehr aus dem Kopf. Und wissen Sie, was? Ich kam zu dem Schluss, dass Sie völlig Recht hatten und dass John Recht damit hatte, sich von mir abzuwenden. Ich habe ihn nicht wegen seiner Defizite verloren, sondern wegen meiner – er hatte genug von mir. Vor ein paar Tagen habe ich zum Hörer gegriffen, ihn angerufen und ihm all das gesagt.«
    »Wie hat er es aufgenommen?«
    »Sehr gut – nachdem er sich berappelt hatte. Wir führten dann ein sehr nettes Gespräch, brachten uns auf den neuesten Stand, erörterten unsere Kurse, unsere jeweiligen Studenten, und redeten davon, wieder mal gemeinsam zu unterrichten. Es war gut. Er meinte, ich klänge verändert.«
    »Das sind großartige Neuigkeiten, Pam«, sagte Julius. »Seine Wut loszulassen, ist ein Riesenfortschritt. Ich finde auch, dass Sie zu sehr auf Ihre Hassgefühle fixiert sind. Ich wünschte, wir könnten einen Schnappschuss von diesem Ablösungsprozess machen und künftig darauf zurückkommen – um zu sehen, wie genau Sie das geschafft haben.«

    »Das geschah ganz unwillentlich. Ich glaube, Ihr Motto – das Eisen schmieden, so lange es kalt ist  – hatte was damit zu tun. Meine Gefühle für John haben sich genug abgekühlt, um in den Hintergrund zu treten und rationales Denken zu gestatten.«
    »Und was«, fragte Rebecca, »ist mit der Fixierung auf Ihren Philip-Hass?«
    »Sie haben die Ungeheuerlichkeit seines Handelns mir gegenüber wohl nie richtig eingeschätzt.«
    »Stimmt nicht. Ich habe mit Ihnen gefühlt . . . mit Ihnen gelitten, als Sie es schilderten – ein schreckliches, schreckliches Erlebnis. Aber fünfzehn Jahre? Gewöhnlich kühlt sich auch so etwas in fünfzehn Jahren ab. Warum ist dieses Eisen immer noch glühend heiß?«
    »Letzte Nacht – während eines sehr leichten Schlafs – habe ich über meine Geschichte mit Philip nachgedacht und sah vor mir, wie ich in meinen Kopf greife und den ganzen grässlichen Gedankenwust packe und zu Boden schleudere. Dann sah ich, wie ich mich vorbeugte und die Fragmente studierte. Ich konnte sein Gesicht sehen, sein schäbiges Apartment, meine besudelte Jugend, wie ernüchtert ich vom akademischen Leben war, meine verlorene Freundin Molly – und als ich diesen Trümmerhaufen anschaute, wusste ich, dass das, was mir widerfahren war, einfach . . . einfach . . . unverzeihlich ist.«
    »Ich entsinne mich, wie Philip meinte, dass unversöhnlich und unverzeihlich zwei verschiedene Paar Schuhe sind«, sagte Stuart. »Stimmt’s, Philip?«
    Philip nickte.
    »Ich bin nicht sicher, ob ich das kapiere«, warf Tony ein.
    »Bei ›unverzeihlich‹«, sagte Philip, »trägt man selbst keine Verantwortung, während ›unversöhnlich‹ der eigenen Weigerung zu verzeihen zuzuschreiben ist.«
    Tony nickte. »Der Unterschied zwischen dem Übernehmen von Verantwortung für das, was man tut, und dem Schieben der Schuld auf andere.«

    »Genau«, sagte Philip, »und von Julius habe ich gelernt, dass Therapie dort anfängt, wo Schuldzuweisungen enden und Verantwortlichkeit an ihre Stelle tritt.«
    »Gefällt mir, dass Sie schon wieder Julius zitieren«, sagte Tony.
    »Bei Ihnen klingen meine Worte besser als bei mir«, sagte Julius. »Und ich erlebe erneut eine Annäherung Ihrerseits. Das gefällt mir.«
    Philip lächelte kaum wahrnehmbar. Als klar wurde, dass er nicht vorhatte, weiter darauf einzugehen, sprach Julius Pam an: »Pam, was empfinden Sie?«
    »Um ehrlich zu sein, es haut mich um, wie sehr sich alle bemühen, Veränderungen bei Philip zu erkennen. Er bohrt sich in der Nase, und alle bewundern ihn. Es ist ein Witz, dass seine wichtigtuerischen und banalen Bemerkungen solche Ehrfurcht erregen.« Philip nachäffend, sagte sie mit eintöniger Stimme: »Therapie fängt dort an, wo

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