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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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Es milderte meine Besessenheit nicht, aber dennoch hatte ich das Gefühl, auf etwas Wichtiges gestoßen zu sein. Bloß war ich leider noch nicht reif dafür.
    Währenddessen setzte ich, bis auf die Periode erzwungener Keuschheit im Ashram – obwohl sich auch dort ein paar Möglichkeiten auftaten –, meine sexuellen Eroberungen fort. Wie zuvor hatte ich Sex mit Massen von Frauen, mit Dutzenden, Hunderten. Manchmal zwei am Tag, überall, jederzeit konnte ich sie auftreiben – genau wie früher. Einmal Sex mit einer Frau, gelegentlich zweimal und dann tschüss. Danach war es nicht mehr aufregend. Sie kennen doch den alten Spruch:
›Man kann nur einmal zum ersten Mal mit demselben Mädchen schlafen.‹« Philip hob das Kinn von seinen Fingerspitzen und wandte sich Julius zu.
    »Diese letzte Bemerkung sollte humoristisch sein, Dr. Hertzfeld. Ich erinnere mich, dass Sie einmal sagten, es sei erstaunlich, dass ich Ihnen in all unseren gemeinsamen Stunden nie einen Witz erzählt hätte.«
    Julius, dem nicht nach Scherzen zu Mute war, zwang seinen Lippen ein Grinsen ab, obwohl er in Philips kleinem Bonmot tatsächlich etwas wiedererkannte, das er einmal zu ihm gesagt hatte. Er stellte sich Philip als eine mechanische Puppe vor, der ein großer Schlüssel aus der Schädeldecke ragt. Zeit, ihn wieder aufzuziehen. »Und was ist dann passiert?«
    Mit einem Blick an die Decke fuhr Philip fort: »Dann traf ich eines Tages eine folgenschwere Entscheidung. Da mir kein Therapeut geholfen hatte – und, tut mir Leid, das sagen zu müssen, auch Sie nicht, Dr. Hertzfeld –«
    »Allmählich ist mir klar, worauf Sie hinauswollen«, warf Julius ein und fügte dann rasch hinzu: »Sie müssen sich nicht entschuldigen. Sie haben meine Fragen einfach nur ehrlich beantwortet.«
    »Tut mir Leid, ich wollte nicht darauf herumreiten. Also, da die Psychotherapie keine Lösung bot, beschloss ich, mich selbst zu heilen – mit einer Bibliotherapie, bei der ich die Gedanken der klügsten Männer absorbieren wollte, die je gelebt haben. Ich begann, systematisch alle relevanten Werke der Philosophie zu lesen, angefangen bei den griechischen Vorsokratikern bis hin zu Popper, Rawls und Quine. Nach einem Jahr des Studierens war ich immer noch nicht von meinem Zwang befreit, aber ich kam zu einem wichtigen Schluss: dass ich nämlich auf dem richtigen Weg und die Philosophie meine Heimat war. Das war ein bedeutsamer Schritt – ich erinnere mich, wie oft wir beide darüber sprachen, dass ich nirgendwo auf der Welt zu Hause sei.«
    Julius nickte. »Ja, daran erinnere ich mich auch.«

    »Ich fand, dass ich, wenn ich mich schon Jahre lang mit Philosophie beschäftigte, ebenso gut einen Beruf daraus machen konnte. Mein Geld würde nicht ewig reichen. Also schrieb ich mich an der Columbia als Doktorand der Philosophie ein. Ich machte meine Sache gut und war fünf Jahre später, nachdem ich eine sachkundige Dissertation geschrieben hatte, Doktor der Philosophie. Ich schlug eine Laufbahn als Dozent ein und fing dann an, vor ein paar Jahren erst, mich für angewandte oder, wie ich sie lieber nenne, ›klinische‹ Philosophie zu interessieren. Und damit sind wir beim heutigen Tag.«
    »Sie haben mir noch nicht zu Ende erzählt, wie Sie geheilt wurden.«
    »Nun, an der Universität entwickelte ich nach der Hälfte meines Studiums eine Beziehung zu einem Therapeuten, dem perfekten Therapeuten, der mir das bot, was mir vorher keiner hatte geben können.«
    »In New York, wie? Wie hieß er? An der Columbia? Welchem Institut gehörte er an?«
    »Er hieß Arthur . . .« Philip hielt inne und schaute Julius mit dem Anflug eines Lächelns auf seinen Lippen an.
    »Arthur?«
    »Ja, er hieß Arthur Schopenhauer, mein Therapeut.«
    »Schopenhauer? Sie nehmen mich auf den Arm, Philip.«
    »Es ist mir nie ernster gewesen.«
    »Ich weiß wenig über Schopenhauer, kenne nur die Klischees über seinen düsteren Pessimismus. Im Zusammenhang mit einer Therapie habe ich seinen Namen noch nie gehört. Wie konnte er Ihnen helfen? Was – ?«
    »Ich unterbreche Sie ungern, Dr. Hertzfeld, aber gleich kommt ein Klient, und ich weigere mich nach wie vor, zu spät zu kommen – das hat sich nicht verändert. Bitte geben Sie mir Ihre Karte. Ich erzähle Ihnen ein andermal mehr über ihn. Er war genau der richtige Therapeut für mich. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich mein Leben dem Genie von Arthur Schopenhauer zu verdanken habe.«

»Das Talent gleicht dem Schützen,

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