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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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Kuh ohne Angst, ohne Furcht in dem gesegneten Jetzt zu existieren, zu leben wisse, unbelastet von der Vergangenheit und sich der Schrecken der Zukunft nicht bewusst. Wir unglücklichen Menschen dagegen werden von Vergangenheit und Zukunft so sehr verfolgt, dass wir nur kurz im Jetzt umherschlendern können. Wissen Sie, warum wir uns so nach den goldenen Tagen der Kindheit sehnen? Nietzsche sagt uns, es liege daran, dass diese Kindheitstage sorgenfreie Tage waren, Tage frei von Sorge, ehe wir uns von bleiernen, schmerzlichen Erinnerungen bedrücken lassen, vom Schutt der Vergangenheit. Erlauben Sie mir eine Randbemerkung: Ich spreche über einen Aufsatz von Nietzsche, aber sein Denken war nicht originell – er plünderte hier wie an so vielen anderen Stellen das Werk Schopenhauers.«
    Er hielt inne. Ein lautes Schweigen durchhallte die Gruppe. Julius krümmte sich in seinem Sessel und dachte: Verdammt, ich muss verrückt gewesen sein, den Typ hierher zu bringen. Auf so eine bizarre Weise habe ich noch nie einen Patienten sich in eine Gruppe einführen sehen.
    Bonnie brach das Schweigen. Sie richtete ihren Blick direkt auf ihn und sagte: »Das ist faszinierend, Philip. Ich weiß, ich sehne mich immer wieder nach meiner Kindheit, doch so habe ich es noch nie verstanden, dass sich Kindheit frei und golden anfühlt, weil man noch nicht von der Vergangenheit belastet ist. Danke. Das werde ich mir merken.«
    »Ich auch. Interessant«, sagte Gill. »Aber Sie sagten, Sie hätten einen Rat für mich?«

    »Ja, hier ist mein Rat.« Philip sprach ruhig und leise und nach wie vor, ohne einen Blickkontakt herzustellen. »Ihre Frau ist einer der Menschen, die besonders unfähig sind, in der Gegenwart zu leben, weil sie mit der Fracht der Vergangenheit so schwer beladen ist. Sie ist ein sinkendes Schiff. Sie geht unter. Deshalb rate ich Ihnen, über Bord zu springen und loszuschwimmen. Sie wird beim Untergehen eine mächtige Woge erzeugen, daher dränge ich Sie, so schnell und kraftvoll wie möglich wegzuschwimmen.«
    Schweigen. Die Gruppe wirkte wie betäubt.
    »Hey, keiner wirft Ihnen vor, kein Blatt vor den Mund zu nehmen«, sagte Gill, »Ich habe eine Frage gestellt. Sie haben geantwortet. Ich weiß das zu schätzen. Sehr. Willkommen in der Gruppe. Wenn Sie weitere Kommentare haben – ich will sie hören.«
    »Nun«, sagte Philip, immer noch nach oben schauend, »in dem Fall möchte ich noch einen zusätzlichen Gedanken anbringen. Kierkegaard behauptete, manche Individuen erlebten eine ›doppelte Verzweiflung‹, das heißt, sie sind verzweifelt, unterliegen aber einer derartigen Selbsttäuschung, dass sie das nicht einmal wissen. Vielleicht leben Sie ja in doppelter Verzweiflung. Ich glaube Folgendes: Mein eigenes Leiden rührt überwiegend daher, dass ich von Verlangen getrieben werde, dann genieße ich, sobald ich ein Verlangen befriedigt habe, einen Moment der Sättigung, die sich bald in Langeweile verwandelt, welche wiederum von einem erneuten Verlangen durchbrochen wird. Schopenhauer meinte, dass dies der universelle menschliche Zustand sei – Wollen, vorübergehende Befriedigung, Langeweile, weiteres Wollen.
    Zurück zu Ihnen – ich frage mich, ob Sie diesen Zyklus des endlosen Verlangens in sich schon erforscht haben. Sind Sie vielleicht so sehr mit den Wünschen Ihrer Frau beschäftigt, dass Sie das davon abgehalten hat, sich mit Ihren eigenen Wünschen bekannt zu machen? Haben Ihnen die anderen dafür heute nicht Beifall gespendet? Weil Sie sich endlich weigern,
sich von den Wünschen Ihrer Frau definieren zu lassen? Für mich ist die Frage, ob Ihre Arbeit an sich selbst durch Ihre Fixierung auf die Wünsche Ihrer Frau behindert wurde oder entgleist ist.«
    Gill lauschte mit weit offenem Mund, den Blick starr auf Philip gerichtet. »Das ist tiefsinnig. Ich weiß, dass an dem, was Sie sagen, etwas Tiefgründiges und Wichtiges ist – an dieser Idee mit der doppelten Verzweiflung –, aber so ganz verstehe ich es nicht.«
    Aller Augen ruhten jetzt auf Philip, der seinerseits nach wie vor nur Augen für die Decke hatte. »Philip«, fragte Rebecca, die inzwischen ihre Haarklemmen wieder festgesteckt hatte, »meinten Sie damit, dass Gills Arbeit an sich selbst eigentlich erst anfängt, wenn er sich von seiner Frau befreit hat?«
    »Oder«, sagte Tony, »dass seine Beziehung zu ihr ihn daran hindert zu erkennen, wie verkorkst er wirklich ist? Zum Teufel, auf mich und die Art und Weise, wie ich meinen Beruf sehe,

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