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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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uns über Ihre . . . Gesundheit erzählen wollten. Deshalb war es schwer, Sie anzuschauen und so zu tun, als würde ich was Neues hören. Und trotzdem konnte ich Sie einfach nicht unterbrechen, um Ihnen zu sagen, dass ich es schon wusste.«
    »Wieso? Was meinen Sie damit, dass Sie wussten, was ich sagen würde? Was zum Teufel geht hier vor?«
    »Julius, tut mir Leid, ich will es Ihnen erklären«, sagte Gill. »Ich meine, in gewisser Weise trifft mich die Schuld. Nach dem letzten Treffen war ich immer noch fix und fertig und wusste nicht, wann oder ob ich nach Hause gehen oder wo ich übernachten sollte. Ich habe den anderen Druck gemacht, noch mit mir Kaffee trinken zu gehen, und dabei haben wir das Treffen fortgesetzt.«
    »Ja? Und?«, drängte Julius, während er mit der Hand einen kleinen Kreis beschrieb, als ob er ein Orchester dirigiere.
    »Na ja, Philip hat uns erzählt, wie es um Sie steht. Sie wissen schon – um Ihre Gesundheit und das maligne Myelom –«
    »Melanom«, unterbrach ihn Philip leise.
    Gill schaute auf das Blatt Papier in seiner Hand. »Genau, Melanom. Danke, Philip. Bleiben Sie am Ball. Ich bin ganz durcheinander.«
    »Ein multiples Myelom ist eine Geschwulst des Knochenmarks«, sagte Philip. »Ein Melanom ist Hautkrebs, denken Sie an Melanin, Pigmentierung, Verfärbung der Haut –«
    »Diese Unterlagen sind also . . .«, unterbrach Julius und forderte
mit einer Handbewegung Gill oder Philip zu einer Erklärung auf.
    »Philip hat Informationen über Ihre medizinische Verfassung aus dem Internet runtergeladen und eine Zusammenfassung vorbereitet, die er uns gab, als wir vor wenigen Minuten den Raum betraten.« Gill streckte Julius sein Exemplar hin, so dass dieser die Überschrift erkennen konnte: Malignes Melanom.
    Verblüfft lehnte Julius sich in seinem Sessel zurück. »Ich . . . äh . . . weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll . . . ich fühle mich überfahren, ich fühle mich, als hätte ich Ihnen eine große Neuigkeit zu berichten gehabt und wäre ausgestochen worden, mit meiner eigenen Lebensgeschichte – oder Todesgeschichte – ausgestochen.« Julius wandte sich an Philip und sprach ihn direkt an: »Haben Sie sich nicht denken können, wie ich mir vorkommen würde?«
    Philip blieb ungerührt und gab Julius weder eine Antwort, noch schaute er ihn an.
    »Das ist nicht ganz fair, Julius«, meinte Rebecca, die ihre Haarklemme herauszog, ihr langes schwarzes Haar lockerte und dann oben auf ihrem Kopf zu einer Spirale drehte. »Ihm ist nichts vorzuwerfen. Zunächst mal wollte Philip nach dem Treffen auf keinen Fall mit uns Kaffee trinken gehen. Er sagte, er sei nicht gesellig und müsse außerdem seinen Unterricht vorbereiten. Wir mussten ihn praktisch mitschleppen.«
    »Genau.« Gill übernahm. »Wir haben hauptsächlich über mich und meine Frau geredet und darüber, wo ich übernachten sollte. Dann haben wir natürlich alle Philip gefragt, warum er eine Therapie macht, was nur normal ist – jedes neue Mitglied wird das gefragt –, und er hat uns von Ihrem Anruf bei ihm erzählt, für den Ihre Krankheit der Anlass gewesen sei. Diese Nachricht versetzte uns einen Schock, und wir konnten sie nicht zur Kenntnis nehmen, ohne ihn zu drängen, uns zu erzählen, was er wusste. Im Rückblick weiß ich nicht, wie er uns die Wahrheit hätte vorenthalten können.«

    »Philip fragte sogar«, fügte Rebecca hinzu, »ob es koscher sei, wenn die Gruppe sich ohne Sie träfe.«
    »Koscher? Das hat Philip gesagt?«, wollte Julius wissen.
    »Na ja, nein«, sagte Rebecca, »wenn ich’s recht bedenke, war koscher mein Ausdruck, nicht seiner. Aber das war es, was er meinte, und ich erzählte ihm, dass wir nach den Treffen oft auf einen Kaffee zusammensitzen und dass Sie nie Einwände dagegen gehabt, sondern nur darauf bestanden hätten, dass wir allen, die nicht dabei waren, beim nächsten Treffen davon berichteten, damit es keine Geheimnisse gibt.«
    Es war gut, dass Rebecca und Gill Julius Zeit gaben, sich zu beruhigen. In seinem Kopf wimmelte es nur so von negativen Gedanken: Dieses undankbare Arschloch, dieser hinterlistige Mistkerl. Ich versuche, etwas für ihn zu tun, und das habe ich nun davon – keine gute Tat bleibt ungestraft. Ich kann mir so richtig vorstellen, wie wenig er der Gruppe von sich erzählt hat und darüber, warum er früher bei mir in Therapie war . . . Ich würde eine Riesensumme darauf wetten, dass er bequemerweise vergessen hat, der Gruppe zu erzählen, dass er

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