Die Schopenhauer-Kur
habe ein echtes Dilemma: einerseits . . . und andererseits . . . anfing. Aber dieser Moment war zu geladen für eine Standardtaktik. Schließlich sagte er: »Philip, als Sie vorhin Pam antworteten, sprachen Sie von sich in der dritten Person; Sie sagten nicht ›ich‹, Sie sagten ›er‹. Sie sagten: › Er hat ihr die Liste nicht gegeben.‹ Wollten Sie damit ausdrücken, dass Sie heute ein anderer Mensch sind als damals?«
Philip öffnete die Augen und schaute Julius an. Eine seltene Begegnung ihrer Blicke. Lag Dankbarkeit in seinem Blick?
»Es ist seit langem bekannt«, sagte Philip, »dass die Zellen des Körpers altern, absterben und in regelmäßigen Abständen ersetzt werden. Bis vor ein paar Jahren dachte man, dass nur die Gehirnzellen unser gesamtes Leben lang fortbestehen – und bei Frauen natürlich die Eizellen. Aber jetzt hat die Forschung gezeigt, dass auch Nervenzellen absterben und ständig neue Neuronen generiert werden, einschließlich der Zellen, die die Architektur meiner Hirnrinde, meines Geistes, bilden. Ich glaube, man kann mit Fug und Recht sagen, dass keine meiner jetzigen Zellen in dem Mann existierte, der vor fünfzehn Jahren meinen Namen trug.«
»Also, Richter, ich war’s nicht«, knurrte Tony. »Ehrlich. Ich bin unschuldig; jemand anders, irgendwelche anderen Gehirnzellen haben die Sache durchgezogen, ehe ich überhaupt da war.«
»Hey, das ist nicht fair, Tony«, sagte Rebecca. »Wir alle wollen Pam unterstützen, aber es muss eine andere Möglichkeit
geben als ›schnappen wir uns Philip‹. Was soll er denn Ihrer Meinung nach tun?«
»Scheiße, wie wär’s für den Anfang mit einem schlichten ›Es tut mir Leid‹?« Tony wandte sich Philip zu. »Das kann doch nicht so schwer sein. Oder würde es Ihnen die Kinnlade brechen?«
»Ich muss Ihnen beiden etwas sagen«, meinte Stuart. »Zuerst Ihnen, Philip. Ich halte mich in der Hirnforschung auf dem Laufenden, und demnach sind Ihre Fakten hinsichtlich Zellregeneration überholt. Die jüngste Forschung zeigt, dass Knochenmarksstammzellen, die einer anderen Person transplantiert werden, in einigen ausgesuchten Bereichen des Gehirns zu Neuronen werden können, zum Beispiel in den Hippocampus- und den Purkinje-Zellen des Kleinhirns, aber es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass sich in der Hirnrinde neue Neuronen bilden.«
»Ich nehme alles zurück«, sagte Philip. »Verweise auf entsprechende Literatur würde ich zu schätzen wissen. Könnten Sie sie mir mailen?« Philip zog eine Karte aus seiner Brieftasche und reichte sie Stuart, der sie einsteckte, ohne sie zu beachten.
»Und, Tony«, fuhr Stuart fort, »Sie wissen, dass ich nichts gegen Sie habe. Mir gefällt Ihre Direktheit und Respektlosigkeit, aber ich stimme mit Rebecca überein: Ich finde, Sie sind zu grob – und ein bisschen unglaubwürdig. Als ich in die Gruppe einstieg, waren Sie an den Wochenenden als Äquivalent für eine Gefängnisstrafe wegen Notzucht zur Säuberung der Highways eingeteilt.«
»Nein, es war Körperverletzung. Die Anzeige wegen Notzucht war Blödsinn, und Lizzy hat sie zurückgezogen. Und die Körperverletzung war auch erfunden. Aber worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich wollte darauf hinaus, dass ich Sie nie habe sagen hören, es täte Ihnen Leid, und niemand hier hat Sie deswegen angemacht. Im Gegenteil – Sie kriegten eine Menge Unterstützung.
Zum Teufel, mehr als Unterstützung; alle Frauen, sogar Sie«, Stuart wandte sich an Pam, »fanden Ihre – Ihre was? – Ihre Zügellosigkeit reizvoll! Ich erinnere mich, dass Pam und Bonnie Ihnen einmal Sandwiches vorbeibrachten, als Sie auf dem Highway 101 Müll einsammelten. Ich weiß noch, dass Gill und ich meinten, wir könnten mit Ihrer . . . Ihrer – was war es noch gleich? – nicht konkurrieren.«
»Dschungelnatur«, sagte Gill.
»Genau.« Tony grinste. »Dschungelnatur. Der Primitive. Das war ziemlich cool.«
»Also, warum nehmen Sie Philip so in die Zange? Dschungelmensch ist bei Ihnen okay, aber nicht bei ihm. Hören wir doch mal seine Version. Ich finde es schrecklich, was Pam durchgemacht hat, aber gehen wir’s langsam an und lynchen ihn nicht gleich. Fünfzehn Jahre – das ist eine lange Zeit.«
»Gut«, sagte Tony. »Lassen wir das, was vor fünfzehn Jahren war; was ist mit jetzt?« Tony wandte sich an Philip. »Zum Beispiel letzte Woche, als Sie . . . Philip – verdammt, es ist schwer, mit Ihnen zu sprechen, wenn Sie mich nicht angucken. Das macht mich wahnsinnig! Sie
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