Die schottische Braut
hielt. Doch sie wagte nicht, ihn loszulassen. Sie vermochte kaum das Gleichgewicht zu halten, und nur zu leicht konnte sie fallen. So verharrte sie in seiner Umarmung länger, als es angemessen war. Sie klammerte sich an ihn, als sie die wenigen Schritte bis zu ihrem Sitz tat und darauf niedersank.
Atemlos beugte sie sich vor und klopfte auf das Fass. “Hier ist Platz für zwei”, sagte sie.
Schweigend ließ sich Harris neben ihr nieder.
Die Gemüter der Mannschaft beruhigten sich, und die Musik wurde leiser. Tom Nicholson ließ seine Pfeife aus Zinn zur Ruhe kommen. Einer der Männer sang eine traurige Ballade über einen missglückten Viehdiebstahl. Dann stimmten drei der Burschen harmonisch “Annie Laurie” an. Bis zu dieser Nacht hatte Harris den übertriebenen Liebesbeteuerungen Robert Burns höchstens spöttisch Beifall gezollt. Die erfreuliche Erinnerung an die zahlreichen Stunden, die er mit Jenny verbracht hatte, und das beunruhigende Bewusstsein, sie an sich gepresst zu spüren, gaben ihm eine ganz neue Ansicht.
Für die schöne Annie Laurie würde ich mein Leben geben.
Plötzlich verstand Harris, was es bedeutete, so tief für eine Frau zu empfinden. Doch er war nicht sicher, ob ihm der Gedanke gefiel. War es nicht dasselbe, einer Frau eine geladene Waffe in die Hand zu geben und ihr gleichzeitig das Herz anzubieten, um Scheibenschießen zu üben?
“Singen Sie uns ein Lied, Miss Lennox?”, fragte einer der Männer, nachdem “Annie Laurie” beendet war. “Es gibt welche, die klingen nur gut, wenn sie von einer Frau gesungen werden.”
“Aye, ich mag ‘Barbrie Allen’”, rief ein anderer Matrose aus.
“Nicht dieses.” Der Bootsmann tat, als wollte er in sein Taschentuch schluchzen. “Es bringt mich immer zum Heulen.”
“Ich werde Rücksicht auf Ihr zartfühlendes Herz nehmen”, versicherte Jenny dem Bootsmann. “Was ist mit ‘Lizzie Lindsay’? Das Lied hat ein glückliches Ende.”
“Aye, und es hat eine liebliche Melodie”, stimmte Tom Nicholson zu. Er hob seine Zinnflöte und begann zu spielen.
Harris fand das auch. Die Musik erfüllte melodisch die Nachtluft. Etwas warnte ihn, dass ihn dieses Lied in seinen Träumen verfolgen und er es in den kommenden Tagen immerzu vor sich hin summen würde. Neben ihm begann Jenny zu singen.
Wirst du in die Highlands gehen, Lizzie Lindsay?
Wirst du in die Highlands mit mir gehen?
Wirst du in die Highlands gehen, Lizzie Lindsay
,
Meine Braut und meine Geliebte sollst du sein.
In den nächsten Strophen erzählen Lizzies Mutter und Schwester, wie gern sie sich mit dem gut aussehenden Fremden verloben würden, wenn sie nur das rechte Alter hätten. Doch Miss Lizzie schien ein Mädchen mit mehr praktischen Neigungen zu sein. Sie hatte nicht die Absicht, sich von einem Mann fortführen zu lassen, über den sie nichts wusste.
Harris saß da und nahm die Melodie, die Jenny mit klarer, heller Stimme vortrug, in sich auf.
In der letzten Strophe offenbarte sich Lizzies Verehrer als der mächtige Highland Lord, Ranald MacDonald. Die Erkenntnis, wer er war, hatte nachhaltige Auswirkungen auf die Zweifel der jungen Dame.
Lizzie schlang ihren Mantel aus grüner Seide um
,
hinab bis an die Knie.
Nun zog sie fort mit Lord Ranald MacDonald
,
um seine Braut und Geliebte zu sein.
Nachdem der letzte Ton verklungen war, brach die Mannschaft in tosenden Applaus aus und forderte Jenny auf, noch etwas zu singen.
“Ein anderes Mal, Gentlemen.” Sie erhob sich und vollführte eine anmutige Verbeugung. “Für jetzt müssen Sie mich entschuldigen. Wenn ich nicht bald zu Bett gehe, dann fürchte ich, hier und auf der Stelle einzuschlafen.”
Als Harris sich erhob, um sie zu begleiten, wies sie ihn freundlich zurück. “Sie müssen nicht meinetwegen gehen. Bleiben Sie, und unterhalten Sie sich weiter. Ich kann meine Kajüte sehr gut allein finden.”
Er folgte ihr trotzdem, nachdem er den Seeleuten der
St. Bride
zum Abschied gewunken hatte. Er holte Jenny an der Reling des Achterdecks ein. Ihre mondbeschienene Silhouette, die gelösten Locken, die sich im Nachtwind bewegten, bezauberten ihn. Eine Weile stand er stumm da und betrachtete sie.
Endlich sagte er: “Sie haben schön gesungen.” Er konnte nicht anders, als einige Töne vor sich hin zu summen.
Ohne sich zu ihm umzuwenden, erklärte sie ruhig: “Kirstie brachte mir das Lied bei.” In ihrer Stimme schwang Wehmut mit. “Wir haben uns immer wieder darüber gezankt.”
“Gezankt wegen
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