Die schottische Braut
McGregor.” Er klang so, als wollte er rasch von hier wegkommen.
“Bitte nennt mich beide Isabel. Das ist eine kleine Siedlung, und die meisten von uns sind irgendwie miteinander verwandt, so halten wir nicht viel von Förmlichkeiten.”
“Nun gut … Isabel. Dann werden wir an die Arbeit gehen, und du kannst zu deiner zurückkehren.”
Zuerst verstauten sie die Sachen von Jenny und Harris.
“Ich nehme an, dass wir uns bei der Hochzeit sehen”, sagte Harris zu Jenny, bevor sie sich trennten.
“Ja.” Sosehr Jenny es auch versuchte, sie konnte nicht verhindern, dass in ihrer Stimme etwas Wehmut mitschwang. Sie wollte eigentlich nur deshalb der Hochzeit beiwohnen, damit Harris und sie noch einen letzten gemeinsamen Tag hatten, bevor sie nach Chatham aufbrachen.
Einen Tag, um sich auf ihr zukünftiges Leben einzustellen. Einen Tag, um Abschied zu nehmen. Er schien nicht im Geringsten davon betroffen zu sein. Geradeso wie ein Mann, der vernünftig alles abwog und dann eine Entscheidung traf. Nicht, dass sie erwartete, dass er ihr nachtrauerte, doch …
“Achte darauf, bei Menzies keinen Verdruss zu bekommen.” Sie versuchte, genauso schroff zu klingen wie er.
Die nächsten Stunden vergingen für Jenny wie im Flug. Eier aufschlagen, Teig ausrollen. Die fertig gebackenen Kuchen aus dem Ofen holen. Obwohl Jenny es nur zögernd zugab, freute sie sich, bei diesem Familienfest dabei zu sein.
Im Einvernehmen mit Grannie McPhee, einer kleinen, stämmigen, äußerst schwatzhaften, aber freundlichen Frau, arbeitete Jennys Zunge bald genauso flink wie ihre Hände.
“… Ich wusste nicht, was los war, doch ich konnte hören, wie etwas Schweres über das Deck rollte …”
“… Ich kann nicht sagen, wie viele Stunden wir im kalten Wasser gewesen und darauf gewartet hatten, dass der Tag heranbricht, um zu sehen, wo die Küste lag.”
“… Dann fingen die Indianer zu lachen an, wie eine Horde Narren. Ich war so verärgert, dass ich die Meute am liebsten verprügelt hätte.”
Als endlich der letzte Haferkuchen aus dem Ofen genommen wurde und Jenny aufblickte, sah sie, dass sich eine Schar Frauen und Mädchen versammelt hatten, um ihr zuzuhören.
“Du kannst hübsche Geschichten erzählen, Mädchen!”, meinte Grannie McPhee und lachte. “Das erinnert mich an die Begebenheiten, die mir meine Mutter oft erzählte über den großen Aufstand und Bonny Prince Charly. Trotz allem, ich höre von solchen Abenteuern lieber, als sie selbst zu erleben.”
“Ich würde gern Abenteuer erleben”, meinte sehnsüchtig ein Mädchen, “besonders mit einem Helden wie Mr Chisholm.”
“Harris – ein Held?” Selbst als Jenny darüber lachte, nickten ihre Zuhörerinnen zustimmend und lächelten verträumt. Genauso musste sie ausgesehen haben, als sie ihren Helden, Roderick Douglas, betrachtet hatte.
Eine innere Stimme riet Jenny, sie solle aus dem großen Interesse der Frauen an Harris ihren Nutzen ziehen. Wenn sie einen Schwarm Verehrerinnen auf ihn ansetzte, würde er sie bald vergessen haben. Sie konnte dann mit Roderick, ohne Schuldgefühle, den Bund der Ehe schließen.
Sie überlegte sich schon einige aufmunternde Worte, sagte aber stattdessen: “Der Mann ist kein Held, das könnt ihr mir glauben. Denn er kann sehr lästig und voreingenommen sein …”
Beruhigend. Verständnisvoll. Großzügig. Jenny brachte es nicht über sich, das Feuer mädchenhafter Schwärmerei zu entfachen, indem sie die Wahrheit sagte.
Sie konnte den abweisenden Blicken und dem heimlichen Lächeln entnehmen, dass ihre Warnungen nicht die gewünschte Wirkung erzielt hatten.
Und das gefiel ihr gar nicht.
Harris runzelte die Stirn, als sich der Weg vor ihm plötzlich teilte. Er vernahm von links das raue Gelächter aus Männerkehlen, das von gelegentlichem Klatschen begleitet war. Welchen Weg hatte Isabel McGregor gemeint? Er mochte wohl den schlechtesten Orientierungssinn in der ganzen Kolonie haben.
“Auf jedem Weg gelangst du dahin”, erklang eine weibliche Stimme, sanft wie das Rascheln der Blätter im Sommerwind, mit einem typisch keltischen Unterton.
Neugierig drehte Harris sich um.
Dann sah er sie.
Sie kniete auf einer nahen Lichtung. In ihrem grünen Tartankleid und dem dunklen Haar passte sie sich den Farben des Waldes an. Einen Moment fragte sich Harris, ob es sie wirklich gab, oder ob seine Fantasie ihm ein Bild vorgaukelte.
Zuerst beachtete ihn die junge Frau nicht, denn sie beschäftigte sich weiter damit, wilde Rosen
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