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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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    Chère Maman, der J uni hat wundervoll begonnen, mit blauem Himmel, warmen Winden und nach Jasmin duftender Luft. Wir sind sehr froh um dessen reiche Fülle in diesem Jahr, denn in einem der angrenzenden Klöster gibt es eine Schwester, die aus einem Krug voll seiner Blüten den Duft herausziehen kann, als wäre sie eine Zauberin, eine nützliche und willkommene Häresie, so es eine solche gibt. Sie benutzt die Essenz als Grundstock, um darauf kompliziertere Düfte zu bauen, die alle die Andacht erhöhen, indem sie dem Betenden Ruhe und Frieden bescheren.
    Vor drei Tagen verstauchte Seine Heiligkeit sich den Knöchel, der dem Vernehmen nach inzwischen ganz blau und gelb geworden ist, doch ansonsten blieb er unverletzt. Natürlich kann man es nicht dabei belassen; der Kardinal, der zu der Zeit bei ihm war, sagt, er sei einfach zusammengebrochen, aber ein Bischof, der ebenfalls anwesend war, sagt, die Spitze seines Schuhs habe sich im Saum seiner Robe verfangen. Jetzt haben wir Kabale zwischen einem Kardinal und einem Bischof im innersten Kreis des Papstes; man braucht nicht viel Vorstellungskraft, um sich auszumalen, wie dieser Machtkampf wohl ausgehen wird! Getuschel über den Gesundheitszustand Seiner Heiligkeit erhebt sich nun regelmäßig bei Sonnenuntergang.
    Ich hoffe, diese kleinen Neuigkeiten lenken dich ein wenig von den schrecklichen Dingen ab, von denen du jetzt umgeben bist. Doch unsere kleinen Ränke kommen deinem Los in der Bretagne mitnichten gleich. Fass dir ein Herz, Mutter, und sei so stark wie immer; Gott tut, was Ihm beliebt, und wir müssen seinen Willen als Teil eines größeren Plans sehen, dessen Weisheit wir nie werden verstehen, derer wir uns jedoch sicher sein können.
    Was für eine Weisheit? In dem, was nun zu Tage trat, konnte ich keine erkennen.
    Der Jasmin, von dem Jean so liebevoll sprach, musste im Norden erst noch erblühen, doch das war mir einerlei, denn ich finde seinen Geruch widerlich, vor allem in Parfüms; dann lieber noch der Gestank des Körpers, der eine bewundernswerte Ehrlichkeit besitzt. Das Sonnenlicht in der Bretagne ist immer dünner als das, mit dem der liebliche Süden gesegnet ist, die Luft ist kühler und die Düfte gedämpfter. Falls wir in dieser Hinsicht Erfolge vorweisen können, so sind es die Düfte unserer Obstgärten unter der meisterhaften Pflege von Frère Demien. Die Reste der Birnenblüten waren in den bretonischen Winden zur Erde gefallen wie verspäteter Schnee, und falls der Sommer schön bliebe, würden wir einen reichen Ertrag bekommen. Ich kann die pots de fruits schon beinahe schmecken, die unsere Tafel zieren werden, wenn die Ernte eingebracht wird.
     
    Cher Jean, durch deine Augen und Worte kenne ich die Schönheit Avignons, und das hilft mir, meinen Kummer in Schach zu halten, zumindest für eine kurze Weile. Wenn ich im Herbst dorthin reise, wird mir alles schon vertraut erscheinen. Du erinnerst dich sicherlich noch daran, wie der Juni hier aussieht, aber in diesem Jahr erscheinen mir die Blumen und Bäume wunderbarer denn je, ein Geschenk, für das ich dankbar bin, denn ich fühle mich nach unseren Entdeckungen so hilflos, fühle mich, als hätte man mir meine Seele gestohlen. Diese Mission, von mir in allerbester Absicht begonnen, scheint jetzt all den Atem und das Blut und den Willen zur Selbstfortsetzung zu haben, unabhängig von meinen Wünschen. Ich bin zutiefst zerrissen; ich giere nach dem dunklen Wissen, das Jean de Malestroit enthüllt und nach meinem Wunsch mit mir teilt, und verabscheue es zugleich. Mein Wunsch, das Schicksal der verschwundenen Kleinen aufzudecken, wird überschattet von meiner Angst zu erfahren, wer sie verschleppt hat. Jeden Tag bohrt ein neuer Pfeil sich in meine Brust, und mit keiner noch so großen Kraft kann ich die Widerhaken herausziehen, die in mir schwären und mich vergiften werden, sollte ich sie nicht bald herausbekommen.
    Der spitzeste dieser Herzpfeile war die wachsende Gewissheit, dass Milord Gilles nicht der Mann war, für den ich ihn gehalten hatte. Früher war er wie ein Bruder meines eigenen Sohnes gewesen, kein fehlerloser zwar, aber dennoch ein Teil meiner Familie. Er war eine der letzten verbliebenen Verbindungen zu diesem verlorenen Kind, und jetzt sah ich auch diese zerstört.
    Gerüchte über dies alles verbreiten sich wie eine frische Seuche, sagte Jean de Malestroit mir eines Morgens. Wir müssen diskret sein, denn sonst bekommt Milord unnötig Wind davon. Wir dürfen ihn

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