Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
Vom Netzwerk:
Bevollmächtigten und Beauftragten haben wir erfahren, dass besagter Gilles de Rais die oben erwähnten Verbrechen und andere Ausschweifungen sowohl in unserer Diözese wie auch an verschiedenen anderen außerhalb gelegenen Orten verübt und begangen hat.
    Aufgrund jener Verbrechen stand besagter Gilles de Rais und steht noch immer bei ernsthaften und ehrbaren Personen in Verruf. Um jeden Zweifel in dieser Angelegenheit zu zerstreuen, haben wir diese Briefe verfasst und ihnen unser Siegel aufgedrückt.
    Gegeben in Nantes am 29. Juli 1440, im Auftrag des Fürstbischofs von Nantes.
    »Wann wird er Milord übergeben?«
    »Morgen.«
    »Und der öffentliche Aushang?«
    Er schaute auf seinen leeren Teller. »Das hat noch Zeit.«
    Mein eigener Teller war verschwunden, und wie durch Zauberhand, in Wahrheit aber durch die Hand einer jungen Novizin, die so leise war, dass man es kaum merkte, wenn sie den Raum betrat, war eine wunderbare crème vor mir aufgetaucht. Ich konnte mich nicht erinnern, das Mädchen schon einmal im Kloster gesehen zu haben, doch gehörte sie mit Sicherheit zu uns, trug sie doch dieselbe Tracht und denselben Schleier wie alle anderen Novizinnen und war ebenso unsichtbar.
    Ich bewunderte den köstlichen Nachtisch einige Augenblicke lang, hatte aber keinen Appetit mehr. Plötzlich fühlte ich mich beobachtet, und ich hob den Kopf; Jean de Malestroits Blick ruhte so eindringlich auf mir, dass ich ihn förmlich brennen spürte. An diesem Abend war ich nicht unsichtbar.
     
    Zwei Tage Regen hielten uns alle im Haus, aber Frère Demien wachte noch immer sorgsam über seine reifenden Früchte. Von der Sicherheit eines der oberen Fenster aus sah ich, wie er immer wieder Wasser von den schweren Ästen schüttelte, um zu verhindern, dass sie zu Boden gedrückt wurden. Es waren Dutzende von Bäumen und Unmengen von Regen abzuschütteln. Eine unmögliche Aufgabe, außer für jene, denen göttlicher Beistand zum Erfolg verhilft.
    Als der Tag sich neigte, sah ich ihn, wohl zum letzten Mal vor Sonnenuntergang, zur Abtei zurückkehren. Auch er selbst hatte ein Schütteln dringend nötig, denn er war durchnässt bis auf die Haut. Auf dem Pfad zwischen dem Obstgarten und den bischöflichen Gebäuden begegnete er einem Reiter, der ihn offensichtlich kannte, denn der Mann hielt an und sprach kurz mit dem jüngeren Bruder. Als sie dann in entgegengesetzte Richtungen auseinander gingen, meinte ich zu sehen, dass Frère Demien seinen Schritt beschleunigte.
    Er kam direkt zu mir, atemlos und noch in seiner nassen Kutte.
    »Es gibt Neuigkeiten«, sagte er, triefend und keuchend. »De Sille und De Briqueville sind verschwunden. Sie haben Gilles de Rais die Gefolgschaft aufgekündigt und sind davongelaufen.«
     
    Wer konnte es ihnen verdenken? Diese Halunken hatten wohl gewusst, dass ihr Herr und Cousin nicht mehr in der Lage war, sie zu beschützen. Aber wie schändlich undankbar sie dabei waren – sie hatten sich mit einem Teil seines Vermögens davongemacht. Sie waren verantwortlich gewesen für den Erwerb von Baumaterial für seine Kapelle, für den Kauf von Kleidern und Geschenken für seine Opfer und für die Beschaffung von Vorräten, die für ein so aufgeblähtes Gefolge nötig waren. Hatten diese Schurken jedem Posten auf einer Rechnung einen oder zwei sous hinzugefügt und sie so Milord zur Zahlung präsentiert, um den Aufschlag selbst zu behalten? Das war so sicher wie der Regen, der vor dem Fenster fiel.
    Man hoffte, dass Milord nicht so töricht war, etwas Besseres von ihnen zu erwarten, und falls doch, erwies er sich als der betrogene Narr, für den ich ihn inzwischen halten musste. Diese Gedanken waren Besorgnis erregend, aber andere Ahnungen über Milord Gilles – einige noch verstörender – kamen mir ebenfalls in den Sinn, eine vor allem, die nicht wieder verschwand, aber sich auch nicht richtig zu erkennen gab. Sosehr ich mich auch bemühte, ich konnte sie mir nicht ins Bewusstsein rufen. Doch ich wusste, irgendwann würde ich es können.
     
    Trotz Frère Demiens Bemühungen berührten die unteren Äste in unserem Obstgarten doch noch die Erde. Entsetzt nahm unser guter Bruder uns alle in die Pflicht, von der niedrigsten Novizin bis hin zu mir. In Scharen gingen wir hinaus auf die noch immer nassen Felder und banden die ungehörigen Äste mit allem an Seilen und Schnüren hoch, was uns gerade in die Hände fiel – in einem Fall die ausgefranste Kordel einer Mönchskutte. Wir pflückten alle Früchte, die

Weitere Kostenlose Bücher