Die Schreckenskammer
wiederholen kann. Gut organisierte Mörder sind allgemein eher stille Leute, die in einer durchstrukturierten Fantasiewelt leben, im Gegensatz zu den eher desorganisierten, willkürlicher handelnden Typen, die in ihren Fantasien und Taten viel impulsiver sind. Der gut organisierte Täter plant seine Tat bis ins letzte Detail in seiner Fantasie und geht erst dann hinaus und setzt seine Fantasie in die Tat um. Der Desorganisierte hat unstrukturierte Fantasien und wird von einem äußeren Anstoß dazu gebracht, hinauszugehen und sich ein Kind zu schnappen. Was er mit diesem Kind anstellt, muss nicht unbedingt etwas mit der Fantasie zu tun haben, die der Tat vorausging, außer vielleicht auf sehr allgemeine Art.«
»Wenn Sie still sagen, was meinen Sie damit? Ich glaube, wer so etwas tut, muss ziemlich verwegen sein. Und still und verwegen scheinen mir ein Widerspruch zu sein.«
»Eine gewisse Form von Wagemut gehört schon dazu, da stimme ich Ihnen zu. Man könnte diese Eigenschaft aber auch Zwanghaftigkeit nennen. Man erkennt es allerdings selten von außen – nur wenige der Leute, die Sexualverbrechen an Kindern begehen, sind sichtbar so pervers, dass man sie als solche erkennt. Es wird viel davon gesprochen, dass man es ihnen an den Augen ansieht, normalerweise nach der Verhaftung, aber die Wahrheit ist, dass diese Typen, wenn man sie in Anzug und Krawatte steckt, in einem Pendlerzug nicht auffallen würden. Das widerspricht dem landläufigen Bild von einem solchen Verbrecher; die meisten von uns stellen sich einen Typ wie Charles Manson vor – obwohl Manson eher ein Anfallsmörder denn ein Serienmörder war, wenn Sie so wollen –, wilde Haare, abgerissene Kleidung, irrer Blick, eine erkennbare Psychopathie, die uns abschreckt. In den meisten dieser Fälle täuscht die Verpackung über den Inhalt hinweg; die meisten der Männer, die Serienmorde oder Serienpädophilie begehen, leben in Verpackungen, die beängstigend normal sind. John Wayne Gacy ist ein perfektes Beispiel für einen Kerl, der äußerlich mehr als normal aussah. Er war in der Zeit, in der er seine Verbrechen beging, ein erfolgreicher Bauunternehmer mit einem gut gehenden Geschäft. Als sein eigener Herr hatte er die Möglichkeit, sich freizunehmen, um seinem Zwang nachgehen zu können, und das Geld machte es ihm leichter. Wir könnten die ganze Liste der berühmtesten Mörder der Weltgeschichte durchgehen und würden viel Normalität finden und sogar einige außergewöhnlich attraktive Gestalten. Was diese Männer von allen anderen unterscheidet, ist viel mehr innerlich als äußerlich.«
Ungefähr einen Block weiter unten warf ein Arbeiter einen Abfallsack in einen offenen Müllcontainer. Die Möwen stürzten flügelschlagend und schreiend herab. Sie griffen den Sack mit ihren Schnäbeln an, einige flogen mit Leckerbissen davon. Die anderen stritten sich über dem Container.
»Das Überleben der Tüchtigsten, hm?«
»Ein starker Trieb.« Errol warf eine kaputte Muschelschale in den Sand unter dem Pier. »Es gibt einen Anthropologen namens Lyall Watson, der die Theorie aufgestellt hat, dass Verhalten, das wir als böse betrachten, oft echten Überlebenswert hat, zumindest in genetischer Hinsicht. Er erklärt es im Kontext der Darwinschen Evolutionstheorie, dass nämlich die Störung der Ordnung in der Welt – vor allem in der Bevölkerung – zu dem Anstieg böser Taten, den wir in den letzten Jahrhunderten erlebt haben, beiträgt. Und dass der Grund, warum Serienmörder vorwiegend Männer sind, der ist, dass sie bei der Weitergabe ihres genetischen Materials in Konkurrenz stehen. Wenn man Rivalen eliminiert, haben die eigenen Gene größere Chancen.«
»Klingt für mich ziemlich weit hergeholt.«
»Seine Theorien erklären aber sehr gut, warum gewisse Menschen die verrückten Dinge tun, die sie eben tun, wenn es keinen anderen offensichtlichen Grund dafür gibt. Ich muss zugeben, vieles davon verstehe ich nicht, obwohl das etwas ist, wofür ich bezahlt werde.«
»Na, dann dürfte ich überhaupt keine Chance haben.«
»Vielleicht doch. Sie sind eine intelligente Frau. Aber vielleicht kann ich Ihnen ein bisschen Zeit ersparen. Es ist unwahrscheinlich, dass Ihr Täter tatsächlich ein Angestellter des Museums ist.«
»Warum?«
»Weil es unwahrscheinlich ist, dass ein organisierter Mörder sein eigenes Nest beschmutzt.«
»Gacy hat alle seine Opfer in seinem eigenen Keller vergraben. Dahmer hat sie in die Tiefkühltruhe gesteckt.«
»Aber
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