Die Schreckenskammer
ob Sie es glauben oder nicht, das sind eher Ausnahmen und keinesfalls die Regel. Sie gingen das Risiko ein, gefasst zu werden und wurden ja auch gefasst, eben weil sie das taten. Ein Angestellter des Museums würde ein sehr großes Risiko eingehen, wenn er sich seine Opfer dort aussuchen würde. Ich würde mich auf Leute von außen konzentrieren. Die Subunternehmer. Die Servicefirmen. Und noch etwas – die Art, wie diese Verbrechen begangen werden, erfordert Ressourcen.«
»Ich weiß, daran habe ich auch schon gedacht. Er muss sich irgendwo herrichten, braucht einen ziemlich abgelegenen Ort, wohin er diese Jungs bringen kann …«
»Und es kostet Geld. Er besorgt sich Verkleidungen, kauft Autos, erzeugt all diese Illusionen. Der Kerl hat entweder lange für diese Aktionen gespart, oder er ist reich.«
»Der Museumsdirekter hat viel von einem der Mäzene erzählt. Er sagte mir, dass er das Sicherheitssystem zum Teil finanzierte, weil er mit dem, das sie ursprünglich installiert hatten, nicht zufrieden war.«
»Wie heißt der Kerl?«
»Wilbur Durand.«
Doc klappte die Kinnlade herunter. »Der Spezialeffekte-Typ.«
»Ja.«
»O Mann«, sagte er. »Das ist ja unglaublich.«
Bevor ich ihn fragen konnte, was er damit meinte, meldete sich mein Piepser. Die Vibration an meinem Gürtel erschreckte mich.
»Merken Sie sich Ihren Gedanken«, sagte ich und rief im Revier an.
Er würde ihn sich eine ganze Weile merken müssen. Wir hatten eine Leiche.
17
Das Sommerwetter blieb schön, wie wir alle gehofft hatten, und dank dieses glücklichen Umstands reiften Äpfel und Kirschen in Hülle und Fülle heran. Frère Demien marschierte stolz wie ein Gockel umher und gluckte zugleich wie eine schützende Henne über seinen verhätschelten, fruchtschweren Bäumen. In dieser chaotischen Zeit sahen wir einander nicht so oft, wie ich es gewollt hätte; er war im Obsthain und in den Gärten beschäftigt, das redete ich mir zumindest ein. Doch schließlich kam ich zu der Überzeugung, dass auch er mir bisweilen aus dem Weg ging, weil er sich seine gute, gehobene Stimmung nicht von meiner immer stärker werdenden Düsterkeit trüben lassen wollte. Er war mir ein so guter und liebenswerter Freund wie immer, aber ich konnte auch die Entfremdung nicht übersehen, die zwischen uns entstanden war.
Ende Juli wäre die Ernte gesichert, sofern Gott zuvor nicht seinen Zorn in Unwettern ausschüttete. Jetzt war die Zeit des Wartens und Schauens in allen Dingen, auch in der Angelegenheit Gilles de Rais. Warten ist mir ein Gräuel; alle, die mich kennen, wissen das. Seine Eminenz hatte mich klugerweise in der Zeit zwischen Milords Abreise aus Josselin und der ersten offiziellen Maßnahme gegen ihn in Frieden gelassen. Obwohl wir so viel Zeit wie eh und je miteinander verbrachten, meistens auf angenehme Art, enthielten unsere vertrauten Gespräche keine Erwähnung von Gilles de Rais.
Um mich zu beschäftigen, trieb ich die jungen Schwestern zu noch mehr Reinlichkeit an, als wollte ich Schwester Claires Erfolg in Bourgneuf nachahmen. Eines Nachmittags fand mich mein Bischof im Hof in einem der seltenen Augenblicke der Muße. Vor mir hatte ich einen Holzrahmen, auf den ein Stück feinen Leinens gespannt war. Ich hatte ein Blumenmuster auf das Gewebe gezeichnet, das ich jetzt mit bunten Seidenfäden nachstickte. Das spätnachmittägliche Sommerlicht eignete sich hervorragend für diese fesselnde Tätigkeit, der ich mich in schwierigen Zeiten wegen des Trostes, den sie mir schenkte, oft zuwandte. Meine Freude daran musste ziemlich offensichtlich gewesen sein, denn der Bischof merkte mir meine Versunkenheit an, als er sich näherte, und zwar beinahe entschuldigend.
»Ich wollte Euch einladen, mit mir zu Abend zu essen«, sagte er mit einem Lächeln, »aber Ihr scheint so in Eure Arbeit vertieft zu sein. Es gibt Kapaun. Euer Lieblingsgericht.«
»Ihr braucht mich nicht in Versuchung zu führen«, entgegnete ich. Ich steckte meine Nadel in das Gewebe und erhob mich von meinem Stuhl.
Er trug zwar die Gewänder des Geistlichen, verhielt sich aber wie der galante Edelmann, der er oft war, indem er mir den Arm bot. Die Röte, die mir in die Wagen stieg, machte mich rasend, aber ich konnte nichts dagegen tun. Ich legte die Hand auf seinen Arm, und gemeinsam schritten wir über den Hof des bischöflichen Palastes zu seinem privaten Speisezimmer, den ganzen Weg ohne ein einziges Wort.
Kapaun und Karpfen und gedämpfte Zwiebeln – mein Gaumen war
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