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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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ungefähr zwanzig Minuten, um zu begreifen, dass der Anrufer ein Transvestit war und der verschwundene Liebhaber tatsächlich eine Frau, die er jedoch als Mann beschrieb. Kern der Sache ist, dass man keine verlässlichen Aussagen mehr über Leute treffen kann, die man sieht oder mit denen man spricht, weil die Leute alles Mögliche tun, um anders zu erscheinen, als sie wirklich sind.
    »Ich habe keinen festen Freund, wenn Sie das meinen. Ich gehe ab und zu mit Männern aus, aber es gibt keinen Wichtigen oder Speziellen. Und keinen, der irgendwann Kontakt mit Nathan gehabt hätte.«
    »Es kann also nicht sein, dass er mit irgendjemandem mitgegangen ist, ohne Ihnen etwas zu sagen?«
    »Nein. Das kann ich mir nicht vorstellen.« Nun wurde Ihre Stimme wirklich hart. »Detective, glauben Sie nicht, dass ich alle anderen Möglichkeiten schon selbst ausgeschlossen habe?«
    Ich ließ die Frage unbeantwortet. »Wann kam Ihnen das erste Mal der Verdacht, dass etwas nicht stimmen könnte?«
    »Erst vor einer Weile. Er machte sich heute Morgen zur gewohnten Zeit auf den Schulweg, und seitdem wurde er nicht mehr gesehen. Meistens trifft er sich mit ein paar anderen Jungs an der Ecke, aber nicht immer. Wenn sie sich treffen, gehen sie den Rest des Wegs gemeinsam. Von hier aus sind es nur drei Blocks.«
    Als sie mir die Adresse nannte, identifizierte ich sie als einen Wohnblock in einer der besseren Ecken des Viertels. Vor ein paar Jahren, vor meiner Zeit beim VGK, hatte es dort einen Selbstmord gegeben, und ich war in diesem Fall die Ermittlungsleiterin gewesen.
    »Ich kenne das Gebäude.« Ich sagte ihr nicht, woher. »Nett und ordentlich.«
    »Und sicher, dachte ich zumindest«, entgegnete Ellen Leeds.
    Aber nicht sicher genug.
     
    So begann also wieder einmal eine Suche nach der sprichwörtlichen Nadel, nach derjenigen, die die schlechte Angewohnheit hat, zum ungünstigsten Zeitpunkt in den Heuhaufen zu fallen. Nathans Beschreibung ging sofort an alle Streifenwagen und Reviere. Männlicher Jugendlicher, ungefähr einsfünfundsechzig groß, schmächtig, dunkelblonde Haare, blaue Augen. Trägt wahrscheinlich eine rote oder kastanienbraune Jacke und Jeans. Turnschuhe, aber die trugen sie ja alle; bemerkenswert wäre es gewesen, wenn er etwas anderes getragen hätte. Streifenbeamte in der ganzen Stadt würden die Beschreibung aus dem Funkgerät hören, und einige Stunden lang würden sie wirklich wachsam sein und die Augen nach ihm aufhalten. Dann würde der nächste Anruf kommen, man würde eine Beschreibung für die nächste Nadel ausgeben, und Nathans Bild würde verschmelzen mit denen aller anderen vermissten Teenager. Er würde eingehen in das große, undifferenzierte Amalgam aller nicht gefundenen Kinder, dieser Kinder, deren lächelnde Abbildungen auf Milchkartons uns allen das blasierte Gefühl vermitteln, wir hätten unsere Kinder gut aufgezogen.
    Kurz bevor unser Telefongespräch endete, fragte mich Ellen Leeds: »Wie lange wird es dauern, bis Sie ihn gefunden haben?«
    »Diese Frage kann ich erst beantworten, wenn wir ihn gefunden haben. Wir tun unser Bestes.« Alles andere wäre eine hässliche Lüge gewesen, nicht dass die vermutliche Wahrheit besonders schön gewesen wäre.
    Auf dem Weg in das Viertel dachte ich über diese Tatsache nach: Manchmal haben wir Glück, und sie tauchen einfach wieder auf. Manchmal spazieren sie nach einer durchgemachten Nacht einfach durch die Tür, und wir erhalten einen »Alles okay«-Anruf von dem Elternteil, das nicht nur wütend ist, sondern auch ehrlich verlegen, weil es einfach nicht erkannt hatte, dass der Junge oder das Mädchen zu so etwas fähig sein könnte. Öfters als uns lieb ist, bekommen wir überhaupt keinen Anruf, wenn die Kinder wieder auftauchen, und wir vergeuden Zeit und Ressourcen mit der Suche nach einem Vögelchen, das bereits wieder im Nest ist. Das macht mich wirklich wütend.
    Aber wenn es um ein wirkliches Verschwinden geht, ist unsere Erfolgsrate demütigend niedrig. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir Nathan finden, wenn er nicht gefunden werden will – oder wenn sein Entführer nicht will, dass wir ihn finden –, ist wirklich klein. Wir haben einfach nicht die Möglichkeiten, die Art von Suche auf die Beine zu stellen, die einen entführten Jungen aufspürt, falls er noch am Leben ist – und das ist ein großes falls. Freiwillige Helfer sind die beste Methode, aber auch die müssen organisiert werden, und das erfordert Arbeitskräfte. Die haben wir einfach

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