Die Schreckenskammer
L. A. haben wir keinen Akzent, und mein mittelwestliches Näseln war schon vor langer Zeit verschwunden. »Hier spricht Detective Lorraine Dunbar aus Los Angeles, von der Abteilung Verbrechen gegen Kinder. Ich weiß, das ist ein langer Zeitraum, aber ich würde gern mit einem Detective sprechen, der bereits vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren bei der Truppe war. Ich arbeite an einer Reihe von Fällen mit verschwundenen Kindern, und ich ermittle gegen einen Verdächtigen, der jetzt in L. A. lebt, aber zu der Zeit in South Boston wohnte. In dem Zusammenhang habe ich mich gefragt, ob es damals bei Ihnen vielleicht Fälle gab, die zu denen passen, die ich gerade bearbeite. Ich dachte, dass mir vielleicht ein Detective weiterhelfen könnte.«
»Ich bin der Dienstälteste hier, ich bin allerdings erst seit fünfzehn Jahren in der Abteilung. Aber einer der pensionierten Jungs könnte Ihnen vielleicht weiterhelfen.«
Ein pensionierter Detective könnte aus der Erinnerung erzählen, hätte aber keinen Zugriff auf alte Akten und Fallunterlagen. »Wissen Sie zufällig, wer der älteste Polizist in Ihrem Bezirk ist?«
»Ja, den kenne ich.«
Eine Pause entstand; ich meinte, ein kleines Kichern zu hören.
»Könnten Sie mir den Namen dieser Person nennen?«
»Ich bin es.«
»Oh. Das trifft sich ja gut.«
»Ja, nicht?«
»Wie lange, wenn ich fragen darf …«
»Sechsundzwanzig Jahre.«
»O Mann«, sagte ich ungläubig. »Und Sie sind noch nicht in Pension?«
»Raten Sie mal.«
»Dann könnte ich ja wohl mit Ihnen reden.«
»Na ja, wenn Sie eine intelligente Antwort wollen, sollten Sie es vielleicht bei einem der Jüngeren probieren. Aber schießen Sie los«, sagte er. »Mal sehen, was ich tun kann.«
»Ich habe eine ganze Reihe von verschwundenen kleinen Jungs«, sagte ich. Ich brauchte fast fünf Minuten, um alle Details zu erzählen, darunter auch die meiner ersten Recherchen über Wilbur Durand, und in dieser ganzen Zeit schwieg der Bostoner Detective und hörte aufmerksam zu.
»Er kam nach Kalifornien, um hier aufs College zu gehen«, sagte ich ihm.
Moskal sagte sich die relevanten Daten laut vor. Dann schwieg er einen Augenblick lang mysteriös und sagte schließlich: »Ich kenne einen Fall mit einem verschwundenen Jungen aus dieser Zeit. Wir fanden damals die Leiche, ungefähr eine Woche später. Den Mörder konnten wir allerdings nie schnappen.«
Ich spürte, wie mein Puls sich beschleunigte. »Dann ist der Fall also offiziell noch ungelöst.«
»Theoretisch ja. Im Augenblick arbeitet allerdings niemand an den ungelösten Altfällen. Wir haben einfach nicht die Leute dafür. Oh, Entschuldigung, die Arbeitskräfte.«
Ich mochte ihn.
»Wir auch nicht, aber ich nahm den Anruf wegen des jüngsten Falls entgegen, und das führte dazu, dass die anderen auch auf meinem Tisch landeten. Ansonsten würden die auch nur herumliegen. Was ist mit Jungs, die verschwanden und nie gefunden wurden – erinnern Sie sich an solche Fälle?«
Er lachte und wich der Frage dann geschickt aus. »Detective Dunbar, bei allem Respekt, aber glauben Sie, dass ich mich in meinem Alter noch daran erinnern kann, was ich zum Frühstück hatte?«
»Na ja …«
»’tschuldigung. Aber ich bin die Zielscheibe aller geriatrischen Witze hier bei uns. Wir haben wahrscheinlich Dutzende verschwundener Jungs, die nie gefunden wurden. Wie Sie sicher wissen, muss das nicht heißen, dass sie alle ein schlimmes Ende gefunden haben. Aber geben Sie mir doch ein bisschen Zeit, damit ich nachsehen kann; ich melde mich dann wieder bei Ihnen. Wir sind gerade dabei, die ganzen alten Sachen in den Computer einzugeben, und einige von diesen Fällen sind vielleicht schon in der Datenbank. Wenn sie es sind, dann geht es sehr schnell. Wenn nicht, dann kann’s eine Weile dauern. Aber mit ein bisschen Glück finde ich sie, bevor der Tag rum ist.«
Ich machte mir eben Notizen in den Akten, als er mich eine Stunde später mit einem Anruf überraschte.
»Ich weiß nicht, ob das hier für Sie relevant ist. Ich habe zwei tote und drei verschwundene Jungs innerhalb von zwei Jahren ungefähr zu dieser Zeit. Sie sind alle weiß und zwischen elf und vierzehn Jahren alt.«
Eine unserer Sekretärinnen stammte aus New England.
»He, Donna, wie lange dauert es mit dem Auto von New York nach Boston?«
»Ungefähr fünf Stunden, je nach Verkehr.«
Verdammt.
»Aber es gibt einen Schnellzug, der schafft es in zweieinhalb. Und es gibt auch einen Flieger, der
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