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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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sie dazu brachte, diesem Übeltäter zu vertrauen, wenn er sich ihnen zeigte. Man fragt sich, ob diese alte Frau den wunderschönen Jungen bei der Hand nahm und ihm mit einem beruhigenden Lächeln unwiderstehliche Versprechen machte: anständige Kleidung als Ersatz für seine Lumpen, ein sauberes, warmes Bett, um darin zu schlafen, und genug zu essen, um das beständige Knurren seines Magens zu beenden, Schuhe, damit seine Füße im Winter nicht bluteten. Du musst nur mit mir zu meinem Herren kommen, der süße kleine Knaben, wie du einer bist, über alles liebt und dich sehr gerne kennen lernen möchte.
    Seine Eltern, beide inzwischen in Gottes Hand, würden nie erfahren, dass er verschwunden war – vielleicht war das ein Segen. Zumindest wusste ich, was mit meinem Sohn passiert sein könnte. Ich hatte etwas Greifbares: einen Keiler, auf den ich meinen Hass richten konnte.
    Warum fühlte ich mich dann plötzlich so unsicher?
     
    Am Montag, dem 19. Tag des September, musste Gilles de Rais in der großen Halle von La Tour Neuve vor Seine Eminenz treten. Keiner von denen, die aus Milords bevorstehendem Untergang einen Vorteil ziehen würden, war als Zeuge zugelassen – Jean de Malestroit wollte sich nicht nachsagen lassen, er ebne ihnen den Weg, und auch als Zuschauer durften sie den Gerichtssaal erst betreten, als die Öffentlichkeit eingelassen wurde.
    Beinahe hätte er nicht einmal mir die Anwesenheit gestattet. Er betrat die Sakristei, als ich mich gerade um seine geheiligten Gewänder kümmerte, und verkündete: »Guillemette, ich glaube nicht, dass es gut ist, wenn Ihr heute im Gericht anwesend seid.«
    Meine Stimme war kaum hörbar. »Ihr habt mir versprochen, dass ich anwesend sein darf – bei allem, was Euch heilig ist –, als ich bereit war, meine Nachforschungen zu Gunsten der Euren einzustellen.«
    »Ich habe Euch kein so bestimmtes Versprechen gegeben.«
    »Eminenz, das ist schändlich. Wollt Ihr mich mit Winkelzügen von dieser Ermittlung fern halten, die ich ohne Eure Hilfe begann und so gut durchführte, dass Ihr es angemessen fandet, sie nach mir weiterführen zu lassen.« Meine Stimme war immer lauter geworden.
    Er zuckte angesichts meines so barsch vorgebrachten Widerspruchs zusammen; Jean de Malestroit war es nicht gewohnt, dass man ihn anschrie. Das waren auch seine Wachen nicht, die sofort herbeigestürzt kamen. Mit einem schnellen Blick schickte er sie weg, und wir waren wieder allein – ich mit meiner wachsenden Wut, er mit seiner abscheulichen Geduld.
    »Ihr werft ein wenig schmeichelhaftes Licht darauf. Ich wollte Euch nur vor Schaden bewahren.«
    »Ach, Ihr kennt mich gut, Bruder; ich bin nicht so zart besaitet. Ich habe genug unter Gottes Launen gelitten, um stark zu sein.«
    »Ich wollte Euch vor der Laune bewahren, die Gott jetzt für Euch bereithalten könnte. Es könnte eine beträchtliche sein.«
    »Ihr erinnert mich oft daran, dass unser Herr den bittren Kelch nicht zurückwies – jetzt erinnere ich Euch daran.«
    »Es steht in meiner Macht, es Euch zu verbieten. Das wisst Ihr.«
    Es war ein vernichtender Verrat. »In der Tat, Eminenz, könnt Ihr mit mir tun, was Euch beliebt, solange ich Eure Magd bin. Aber seid nicht überrascht, wenn ich diesen verwünschten Schleier abwerfe und mich Eurer Macht entziehe.«
    »Das würdet Ihr niemals tun. Ihr könntet es nicht.«
    Ich riss mir den Schleier vom Kopf und warf ihn zu Boden. »Ich habe früher ohne dieses Zelt gelebt und werde es, wenn nötig, wieder tun. Koste es, was es wolle.«
    Einige Sekunden lang sagte er gar nichts, sondern starrte mich nur mit einem Ausdruck an, der zugleich traurig und sehnsüchtig war.
    »Euch mag es vielleicht gleichgültig sein, was aus Euch wird, Guillemette«, sagte er schließlich. »Aber ich kann Euch versichern, mir ist es nicht gleichgültig. Ganz und gar nicht.«
    »Dann müsst Ihr das Versprechen halten, das Ihr mir vor Gott gegeben habt«, sagte ich. »Oder ich werde dieses Kloster verlassen.«
     
    So kam es, dass ich an seiner Seite war, als Jean de Malestroit sich an diesem Morgen auf den Weg machte zum weltlichen Gericht. Als wir durch den Palast gingen, war meine Stimmung getrübt durch das Entsetzen über das, was zwischen uns vorgefallen war, und so war die Menge, die uns auf dem Platz vor dem Palast begrüßte, für mich ein lästiger Anblick. Kaum sahen sie uns, erhob sich ein Schrei und dann drängten sie alle nach vorne. Diese zornigen Seelen schrien vor Enttäuschung und

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