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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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schimpften über die Heimlichkeit und Langsamkeit des Verfahrens. Die Feinheiten politischen Vergehens, die Edelleute einander angedeihen ließen – soll heißen, mit Gold und Besitztümern –, konnte von solchen Leuten nicht gewürdigt werden. Sie wollten dieselbe einfache und schnelle Gerechtigkeit, der man sie unterwarf.
    Doch als ich über Schilder und erhobene Schwerter hinwegspähte, sah ich in der Menge viele, deren Gewänder einen viel größeren Wohlstand verrieten und bei denen ich argwöhnte, dass das Versprechen einer schmutzigen Intrige sie angelockt hatte – es kommt nicht oft vor, dass ein großer Herr und Held so dramatisch in Ungnade fällt.
    Hastig zogen wir uns in den Palast zurück und waren gezwungen, uns durch ein Gewirr feuchter, schlecht beleuchteter Gänge zu quälen, die unterirdisch am äußeren Rand der Anlage entlangführten. Wir kamen an der Stelle vorbei, wo die Engländer einst durchgebrochen waren – sie war inzwischen wiederhergestellt, aber nach all dieser Zeit noch sichtbar –, und traten eine gute Weile später im Erdgeschoss direkt unter der großen Halle wieder ans Licht.
    Tageslicht, Beleuchtung, Luft. Tief sog ich die frische Luft ein und schüttelte den Saum meines Gewandes, um eventuelles Ungeziefer zu vertreiben. Sogleich stiegen wir zu dem Balkon im ersten Stock hinauf und schauten auf die Menge hinunter, die vielleicht fünf oder sechs Meter unter uns wogte. Obwohl Seine Eminenz sich im Hintergrund hielt, konnte er nicht vermeiden, entdeckt zu werden. Ein Chor von Drohungen und Verwünschungen schwoll in die Höhe und hallte von den flachen Steinmauern wider.
    Hängt ihn! Lasst ihn leiden, wie unsere Söhne gelitten haben. Möge er verdammt sein auf alle Ewigkeit in der Hölle.
    Frère Demien hatte sich einen Weg durch diesen Wahnsinn gebahnt und trat hinter uns auf den Balkon. »Die Menge«, keuchte er, »sie ist wie toll …«
    »Mit jeder Minute mehr«, sagte Seine Eminenz. Ich sah eine seltene Andeutung von Angst in seiner Miene, als er den Blick über die immer noch anwachsende Menge schweifen ließ. »Die Wachen könnten in Unterzahl geraten«, sagte er. »Wie unterschiedlich in der Zusammenstellung sie ist – Arme, Reiche, gemeines Volk und Edelleute.«
    Frère Demien war weniger großzügig in seiner Einschätzung.
    »Scharlatane, Taschendiebe, Straßenhändler mit ihrem wertlosen Tand.«
    Er hatte ein besseres Auge für solche Dinge als ich, aber bei genauerer Betrachtung wurde deutlich, dass er Recht hatte. Leicht zu entdecken von unserem hohen Aussichtspunkt aus waren die Halunken und Hökerer, die jenen auflauerten, die kaum etwas hatten, das sie nach Nantes mitbringen konnten, es aber mit noch weniger verlassen würden. Hinter den Taschendieben und Säckelschneidern sah man Tänzer, Jongleure, Sänger und Narren, bunt gekleidet und fantastisch herausgeputzt, alle bemüht, sich der wenigen sous zu bemächtigen, die man den Leuten entlocken konnte. Es bestand die Gefahr, dass dieser Prozess zu einer Art Belustigung wurde, dass die Feierlichkeit und Ernsthaftigkeit des Bevorstehenden von der billigen Geschmacklosigkeit dieser Aufführung besudelt wurde.
    Aber der gemeinsame Wunsch all dieser Leute war unmissverständlich – sie wollten Gilles de Rais. Er war vorübergehend in einer Zimmerflucht in der Mönchsabteilung des Klosters untergebracht und nun gezwungen, sich durch dieses Gewühl zu quälen, um in den Palast zu kommen, wo der Prozess stattfand.
    Sie warteten auf ihn.
    Fünf Minuten später tauchte eine Damensänfte auf, getragen von sechs kräftigen Männern anstelle der üblichen vier.
    Etwas stimmte ganz offensichtlich nicht. Wir alle starrten hin; schließlich fand Frère Demien Worte für unseren Argwohn. »Das ist aber eine außerordentlich beleibte Dame.«
    Die Menge ließ sich nicht mehr täuschen als er. Sie drängte nach vorne und begann, an den Vorhängen zu reißen. Die Träger beschleunigten ihre Schritte und packten die Haltestangen noch fester, während ihr Geleitschutz die Menge zurückdrängte.
    »Er könnte doch durch die Gänge in den Palast kommen, wie wir es taten.«
    »Er soll auf diese Art kommen«, sagte Jean de Malestroit mit ruhiger Entschlossenheit.
    Ich trat zurück und betrachtete ihn, wie er die Szene unter uns beobachtete. Es war nicht gerade Freude, die ich auf seinem Gesicht sah, sondern eine Regung, die eher mit Befriedigung zu tun hatte. Er gab den Leuten, was sie wollten, und das war die Anwesenheit von Milord

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