Die Schreckenskammer
Gilles in ihrer Mitte. Daher seine Sorge um die Wachen, deren Notwendigkeit er wohl unterschätzt hatte. Ich schaute nach unten und sah, dass sie noch Herr der Lage waren, aber nur gerade noch.
Die Menge reagierte unwillig, als die Terzen-Glocke ertönte. Die Wut, die diese Masse Unzufriedener verströmte, war ätzend und gehässig. Beleidigungen, Flüche und Drohungen wurden ausgestoßen, als gäbe es keine Strafen, wenn ein Bauer seine Herren beschimpfte. Bevor Milord in Ungnade fiel, hätte die Menge sich geteilt aus Hochachtung vor seinem Rang, wie es zu Ostern geschehen war, als er kam, um seine Beichte abzulegen. Heute gab es keine Hochachtung, nur Hohn und Spott.
Soldaten Gottes, gewandet in heiliges Purpur, waren gezwungen, ihre Lanzen und Schwerter gegen den sie bedrängenden menschlichen Abschaum zu richten.
»Sie würden ihn am liebsten hier in Stücke reißen«, flüsterte ich Frère Demien zu und musste verwundert feststellen, dass Seine Eminenz verschwunden war.
»Es gibt Leute, die einen solchen Ausgang für nicht unerwünscht halten.«
Ich gehörte nicht zu jenen; in mir regte sich ein unheiliger Drang, ihn über das reden zu hören, was er getan hatte.
Jetzt stürmten weitere Wachen aus dem Innenhof. Der verstärkten Truppe gelang es schließlich, die herandrängende Menge zu teilen, und die Sänfte setzte sich wieder in Bewegung und erreichte so den Hof.
Eilends verließen wir den Balkon und begaben uns zur Kapelle. Sie lag auf der anderen Seite einer offenen Rotunde, in der die Treppe in die Höhe führte. Als wir sie umkreisten, hörten wir eilige Schritte die Treppe heraufkommen. Ich schaute über die Brüstung hinunter und erblickte Milord inmitten seiner Bewachung; die gesamte Gruppe stürmte die Treppe hoch, wie auf der Flucht, obwohl sie nicht mehr verfolgt wurde.
Der gut aussehende, charismatische Gilles de Rais, glänzend gewandet in königliches Blau, wirkte inmitten seiner purpurnen Häscher dramatisch fehl am Platze. Als er mein Aufstöhnen hörte, hob er den Kopf, und unsere Blicke trafen sich. Während er die restlichen Stufen erklomm, starrten wir einander bestürzt an. Ich drehte im Geiste die Zeit zurück und versuchte mir vorzustellen, wie er unter anderen Umständen hier eingetreten wäre, vielleicht um eine Auszeichnung zu empfangen, und sah mich selbst im festlichen Gewand, vielleicht sogar mit Gold verziert. An meiner Seite würde, heil und stolz, Etienne stehen, mein verehrter und geliebter Gatte, der platzen würde vor Stolz über die Errungenschaften seines Lehnsherrn und in seinem Herzen ein wenig daran teilhaben würde. Posaunen würden erklingen, und alle, die bei uns standen, viele treue Gefolgsleute, würden klatschen und Loblieder singen. Und in Milords Blick würde ich die Hochachtung und Ehrerbietung sehen, von der ich wollte, dass er sie mir als einer Frau entgegenbrachte, deren Einfluss ihn erst der vielen Auszeichnungen würdig machte, die er erhalten hätte können, wären die Dinge anders verlaufen.
Stattdessen sah ich in seinem Ausdruck einen kurzen Augenblick des Schuldgefühls, ein Aufblitzen von Scham, bevor eine Härte alles überlagerte. Und dann verschwammen, wie durch Hexerei, die Züge meines einst geliebten fils de lait, bis er in meinen Augen gesichtslos war.
Ich hörte seine Stimme; wie aus weiter Ferne sagte er: » Mère Guillemette …« Der Tonfall war spröde und ohne die zärtliche Hochachtung, die hätte mitschwingen sollen …
Wären die Dinge anders verlaufen.
Was mir noch an klaren Gedanken geblieben war, nahm ich nun zusammen. »Milord«, sagte ich so bestimmt, wie ich konnte. »Ich muss mit Euch sprechen, es gibt etwas, das ich Euch fragen muss.«
Ich streckte die Hand aus, aber er war schon an mir vorüber, für mich nicht mehr erreichbar, meinem Einfluss entzogen. Aber so sicher, wie ich dort stand, wusste ich, dass ich mich nie ganz von ihm würde befreien können.
An diesem Tag, vielleicht dem bedeutendsten seines zweifachen Dienstes, sah Jean de Malestroit in seiner Robe aus tiefrotem Samt vom Scheitel bis zur Sohle aus wie ein Patrizier. Bruder Blouyn, der an seiner Seite saß, war ähnlich geschmückt, doch die Wirkung war bei ihm nicht annähernd so atemberaubend wie bei meinem Bischof, der kirchlicher wie weltlicher König dieses Gerichtsreiches war, solange es dauern würde, den Willen des Herzogs zu erfüllen. Ihre beiden Namen wurden zur Eröffnung feierlich ausgerufen vom Ankläger des Herzogs, Guillaume
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