Die Schreckenskammer
von ihnen wagen, Jean de Malestroits kochende Wut in Worte zu fassen. »Gilles de Rais, Baron und Ritter«, sagte der Bischof, »Euch wird hiermit auferlegt, am achtundzwanzigsten Tage dieses Monats September im Jahre 1440 in diesem Gericht vor mir selbst und dem Verehrten Bruder Jean Blouyn zu erscheinen, zu welchem Zeitpunkt Ihr Euch zu verantworten habt für jene Verbrechen und Verfehlungen, wie sie aufgeführt wurden in der vorausgegangenen Darlegung von Guillaume Chapeillon, den wir dazu bestimmen, seine fähige Anklagevertretung in dieser Angelegenheit fortzuführen. Im Namen Gottes und des Gesetzes: Ihr werdet Euch für diese Übeltaten zu verantworten haben.«
Und nach einer Pause fügte er hinzu: »Möge Gott Eurer Seele gnädig sein, so es Seinen Zwecken dient.«
Ich saß auf einer Steinbank vor einem Zimmer, das vorwiegend zum Empfang von Gästen in der Abtei genutzt wurde. Obwohl dieses Bauwerk viele wunderbare, weniger sichtbare Verstecke hatte, in denen ich ungestörter gewesen wäre, war dies doch mein Lieblingsplatz. Hier konnte ich das Kommen und Gehen von Besuchern, Bittstellern, Verkäufern und Gläubigern beobachten, von allen, die hier zu tun hatten, Würdenträger eingeschlossen. Aber in diesem Augenblick war ich in meiner eigenen kleinen Welt versunken, und der Heilige Vater selbst hätte vorbeigehen können, ohne dass ich es bemerkt hätte. Als deutlich wurde, dass man sie nicht zu dem Prozess zulassen würde, hatte die Menge des frühen Morgens sich zerstreut und nur ihren Abfall hinterlassen, den Handlanger nun aufklauben mussten. Ich fragte mich ernsthaft verärgert, ob es nötig war, einen solchen Schmutz zu hinterlassen, wenn doch der Schmutz, der innerhalb dieser Mauern verhandelt wurde, bereits so überwältigend war.
Das Wetter war unerklärlich schön, und in einer besseren Gemütslage hätte ich geweint vor Freude über einen erschlichenen Sommertag, bevor die Kälte wieder über uns kam. Ein Korb mit angeschlagenen Äpfeln stand an meiner Seite, und in meinem Schoß hatte ich eine Schüssel. Mit einem kleinen Elfenbeinmesser schälte ich eine Frucht nach der anderen und entfernte alle schlechten Stellen, damit man pâtisseries daraus machen konnte, deren zarte Beschaffenheit ruiniert würde durch ein widerspenstiges Stückchen Schale oder die kleinste Unvollkommenheit im Fruchtfleisch selbst. Ich schnitt mit dem Messer, die Schale löste sich. Ich schnitt fester, noch mehr Schale fiel herab. Ich ließ die Schnipsel achtlos auf die Erde fallen, denn sie waren nicht gut genug für weitere Verwendung. Asche zu Asche, Staub zu Staub; alles, was aus der Erde wächst, wird irgendwann von ihr zurückgefordert.
Wie auch mein Sohn, der viel zu schnell aufgewachsen und zurückgefordert worden war; das nahm ich zumindest an.
Immer und immer wieder ließ ich in dunklem Rhythmus die unschuldigen Früchte jenen Aufruhr spüren, der in meinem Inneren wütete. Confutatis, maledictus, pergatorium. Wenn diese Eigenschaften sich in unserer pâtisserie widerspiegelten, dann wäre sie eine bittere, ungenießbare Katastrophe. Wahrheiten, die ich für unangreifbar erachtet hatte, stürzten eine nach der anderen ein. Ich hatte mich immer bemüht zu glauben, dass Gottes Laune mir meinen Sohn genommen hatte, aber Gilles de Rais war an diesem Tag bei ihm gewesen – er war tatsächlich sogar der Letzte gewesen, der ihn gesehen hatte, wie seine Diener die Letzten gewesen waren, die man mit so vielen verschwundenen Kindern gesehen hatte.
An jenem Tag war ich im hohen Turm von Champtocé und trocknete Wäsche, als sich draußen ein Geschrei erhob. Ich eilte zum Fenster und sah, dass der Schlossvogt seinen Männern hastig befahl, das Fallgitter hochzuziehen. Wenn so etwas geschieht, denkt man natürlich an eine anrückende Streitmacht, und mein Sohn war zusammen mit Milord draußen in den Wäldern von Champtocé und kreuzte vielleicht den Weg der Soldaten. Doch als ich den jungen Gilles allein durch das Tor laufen sah, wurde aus meiner Sorge echte Angst. Ich ließ die ordentlich zusammengelegte Wäsche fallen, sprang mit gerafften Röcken verzweifelt die Treppe hinunter und stürzte auf den Hof.
Milord, kurz vor der Mannwerdung noch ein Schlaks mit überlangen Gliedern, stand gebückt da, die Hände auf die Knie gestützt und den Kopf gesenkt. Er keuchte und japste von der Anstrengung seines Laufs. Diejenigen, die ihn umringten, bereit, ihm alles zu bringen, wonach er verlangte, waren verblüfft und
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