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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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verwirrt und versuchten, ihn zum Sprechen zu bringen.
    Mit mir würde er sprechen: Ich war alles, was er noch an Mutter hatte, und mit mir würde er sprechen, bei allen Heiligen. »Milord«, bedrängte ich ihn, »was ist mit Michel?«
    Keuchen, Japsen, Keuchen und dann ein Blick nackten Entsetzens: »Madame«, rief er, »der Keiler, wir stießen auf ihn, ich rannte so schnell, wie ich konnte, um ihm zu entfliehen, und ich dachte, Michel wäre hinter mir, aber als ich mich umdrehte und er nirgendwo zu sehen war …«
    Ich schrie auf vor Schmerz und verlor die Besinnung; der Vogt Marcel fing mich auf.
    »Wo habt Ihr ihn zuletzt gesehen?«, fragte Marcel den Jungen.
    Er schnappte nach Luft. »Ich weiß nicht …«
    Der Vogt packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn. » Überlegt – wo habt Ihr ihn zuletzt gesehen? «
    Von dieser Heftigkeit eingeschüchtert, plapperte der junge Gilles: »Westlich des Eichenwäldchens, rund fünfzig Schritt, in dem Hohlweg, der zum Fluss führt.«
    »Ist der Junge verletzt?«
    »Ich … ich weiß es nicht.«
    Der Vogt winkte nach einem Pferd. Ich packte verzweifelt seinen Arm. »Die Hebamme – wenn Michel angefallen wurde, braucht er sie.«
    Während er meine Finger von seinem Arm löste, schaute er zu einem seiner Männer. »Sucht Madame Catherine«, sagte er. »Bringt sie zu uns.«
    Ich drehte mich um und ging auf den Stall zu. Nun war er es, der mich am Arm packte. »Nein«, sagte er, »Ihr dürft nicht mitkommen.«
    »Er ist mein Sohn«, flehte ich.
    »Nein«, sagte er noch einmal, mit noch größerer Bestimmtheit. Inzwischen hatte seine ganze Truppe sich um ihn versammelt, es waren also genügend Männer vorhanden, die ihm zu Willen waren.
    »Haltet Madame la Drappière hier fest«, befahl er, und einer der Männer trat prompt vor, um genau das zu tun.
    Ich wehrte mich vergebens gegen seinen Griff. Im Gesicht des Vogts war so viel Mitleid; ich glaubte, wenn ich nur mehr flehte, würde er mich mit ihm gehen lassen. Doch er war so klug, den Blick abzuwenden, und sagte zu einem anderen seiner Männer: »Sucht Etienne und bringt ihn hinaus in das Wäldchen.« Und dann bestieg er das Pferd, das man ihm gebracht hatte, und galoppierte davon.
    Ich würgte und hustete wegen des Staubs, den die Hufe aufwirbelten. All diese Erinnerungen würgten mich nun aufs Neue. Eine Hand legte sich auf meine Schulter, und ich erschrak.
    »Guillemette«, hörte ich Jean de Malestroits Stimme, »Ihr quält diese Äpfel.«
    Die Frucht, deren Schale sich unter meinen rohen Schnitten löste, fiel mir aus der Hand. Gemeinsam sahen wir zu, wie sie über die Erde rollte.
    Ich wischte mir die Hände an meiner Kutte ab, was für mich un gewöhnlich schlampig war, denn ich halte Reinlichkeit sehr hoch.
    »Ihr seid sehr scharfsichtig, Eminenz«, sagte ich.
    Wie es aussah, wollte er sich setzen; er musste mich nicht um Erlaubnis fragen, und eigentlich hätte ich aufstehen müssen, als er erschien. Aber wir beide hatten solche Albernheiten nicht mehr nötig. Mit einem leichten Nicken deutete ich auf den freien Platz neben mir auf der Bank, und er raffte seine Richterrobe und setzte sich raschelnd.
    »Ich nehme Euch die Beichte ab, wenn Ihr wollt, und befreie Euch so von der Last, die Euch offensichtlich den Kummer bereitet, den ich jetzt in Euch sehe.«
    Indem ich eine widerspenstige Strähne zurücksteckte, schaute ich ihn an. Mein Ausdruck zeigte offensichtlich noch weiteres Unbehagen, denn er fügte schnell hinzu: »Habt keine Angst – ich werde Euch keine schwierige Buße auferlegen.«
    »Nun denn, wie Ihr wünscht. Pater, ignosca me, ob malo dissipavi. «
    Jean de Malestroit ließ ein kurzes Kichern hören. »Gott dürfte im Augenblick über einen vergeudeten Apfel nicht übermäßig besorgt sein«, versicherte er mir. »Aber er würde gern wissen, wie auch ich, was Euch wirklich auf der Seele lastet.«
    Ein matter Atem entströmte meinen Lippen. Ich schaute Seiner Eminenz direkt in die Augen und sah dort die Bereitschaft, mich in meinem würdelosen Zustand anzunehmen. Aber es war noch nicht an der Zeit, ihm zu sagen, welche Gedanken mir wirklich durch den Kopf gingen. Deshalb sagte ich ihm etwas, das ihn mit Sicherheit zufrieden stellen würde: »Was uns alle in diesen Tagen quält, bekümmert auch mich.«
    »Ah.« Er lehnte sich zurück und dachte über meine Antwort nach. »Ich denke, das ist nur natürlich, dass wir alle besorgt sind wegen der Dinge, die uns nun zu Ohren kommen. Es ist alles so

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