Die Schreckenskammer
schlecht gekleidete, ausgelaugte Donut-Depot, das ich erwartet hatte. Moskal war attraktiv auf die Clint-Eastwood-Art, bis hin zu den Falten. Er hatte tolles Haar, gut geschnitten und frisiert, war durchtrainiert und groß und bewegte sich mit freundlicher Ungezwungenheit. Kein einziges graues Haar, obwohl er mindestens Ende vierzig sein musste.
Kein Ehering.
»Ich schätze, Polizisten fangen hier immer ziemlich früh an«, sagte ich.
Breites Grinsen. »Ja. Ich war vier, als ich auf die Akademie kam. Aber jetzt bin ich reif für die Rente, zumindest sagt das meine Frau.«
Verdammt.
»Ich möchte Ihnen danken, dass Sie einen Teil Ihres Samstags für mich opfern.«
»Ist schon okay. Keins der Kinder hatte was anderes zu tun außer Hausaufgaben, das war also kein Problem. Bei Mathe kann ich Ihnen sowieso nicht mehr helfen.«
Er schenkte mir ein Lächeln zum Dahinschmelzen.
»Und«, sagte ich, betont geschäftsmäßig, »haben Sie die Akten?«
»Liegen auf meinem Schreibtisch. Ich dachte, wir fahren dorthin und schauen sie durch – es ist eine Menge Zeug. Wenn Sie wollen, kann ich Sie dann zu den Tatorten führen. Aber die sind nicht mehr so wie damals. Ich hoffe, Sie erwarten nicht, nach zwei Jahrzehnten dort übermäßig viel zu finden.«
»Ich bin schon froh, dass die Gebäude überhaupt noch stehen«, sagte ich auf dem Weg zu seinem Wagen, den er in einer Ladebucht geparkt hatte. »Mann, in L. A. hat man das Gefühl, dass Gebäude im Jahresrhythmus hochgezogen und wieder abgerissen werden. Aber ich möchte wirklich einfach nur sehen, wo diese Sachen passiert sind. Ich kriege langsam ein Gefühl dafür, wer dieser Durand ist, und ich möchte sehen, ob ich ihn hier unterbringen kann. Und falls noch Zeit ist, möchte ich gern mit jemandem sprechen, der an der ursprünglichen Ermittlung beteiligt war.« Wir stiegen ein und los ging’s.
»In der Hinsicht muss ich Sie enttäuschen«, sagte Moskal kurz darauf. »Der Ermittlungsleiter ist, na ja, sagen wir einfach, er ist ein ziemlich schwerer Alkoholiker. Kann kaum noch reden. Und der Sergeant, der als Erster am Tatort war, setzte sich vor ungefähr drei Jahren mit einer hübschen Pension zur Ruhe. Ich habe herausgefunden, dass er kurz darauf Krebs bekam und im letzten Jahr starb.«
»Verdammt. Ich hoffe, er hatte sich für die Partnerversorgung entschieden.«
»Er war nicht verheiratet.«
»Na, dann hat er wenigstens keine verarmte Witwe hinterlassen.«
»Nein. Sean O’Reilly kam aus einer ziemlich wohlhabenden Familie. Um genau zu sein, er war Will Durands Onkel.«
»Ach, hören Sie auf. Das gibt’s doch nicht.«
Er nickte, während zahllose Gebäude an uns vorbeizogen. »Es stimmt. Ich bin hier in Southie aufgewachsen und kannte sogar seine Familie. Wir kennen uns hier alle untereinander, zumindest dem Namen nach.«
Ich brauchte einige Augenblicke, bis ich das verdaut hatte. »Entschuldigen Sie, wenn ich jetzt falsche Behauptungen aufstelle«, sagte ich. »Aber ist Moskal nicht ein … kontinentaleuropäischer Name? Ich dachte, Southie ist fest in irisch-amerikanischer Hand.«
»Schön gesagt, Detective«, sagte Moskal und lachte. »Er ist polnisch. Ich schätze, Sie kriegen da unten auch Ethnientrainig.«
»Einmal pro Jahr, ob wir es brauchen oder nicht.«
»Der Mädchenname meiner Mutter war O’Shaughnessy. Sie haben sie wieder reingelassen, obwohl sie einen Polen geheiratet hatte.«
»Na, da sehen Sie mal.«
Wir fuhren in Richtung Südosten durch das Bostoner Hafenviertel, eine Gegend, die verschandelt wurde von nicht fertig gestellten Bauprojekten. Schließlich machten, im Verlauf einer Viertelmeile, industrielle graue Schlackesteinmauern pastellgrünen und -gelben Reihenhäusern Platz. Das gletscherähnliche Vordringen von Gewerbegebiet in Wohnviertel war unverkennbar. Ich fragte mich, ob das Viertel Gegendruck ausübte oder ob das Eis sich bereits gesetzt hatte.
»Durand hat zwei noch lebende Schwestern, und seine Mutter – Sean war ihr Bruder. Sie wohnen in einem wirklich hübschen Haus am Strand. Ich würde Ihnen sehr raten, mit jemandem aus der Familie zu reden, das ist ein interessanter Haufen.«
»Inwiefern?«
»Na ja, erstens ist Wilbur Durands Schwester Sheila Carmichael. Halbschwester, meine ich.«
Sie war eine dieser Anwältinnen mit hohem Dershowitz-Faktor und dem landesweiten Ruf, Staatsanwälte in den Selbstmord zu treiben. Ich hatte sie schon oft im Fernsehen gesehen, als Sprachrohr eines Klienten, dessen Recht, Chaos
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