Die Schreckenskammer
dir sicher gefallen wird. Wir waren so jung, Etienne und ich, ganz frisch verheiratet und so süß versunken in unserem gegenseitigen Verlangen. Nur zu gern hatte ich mich seinem kecken Wunsch gefügt, aber erst nach einem errötenden Augenblick gespielten Widerstands. Ich schwöre, es geschah bei dieser Gelegenheit, in diesem Wald, auf Moos so weich, ein jedes Federbett zu beschämen, dass sein Samen in meinen Schoß eindrang und zu Jean, unserem Erstgeborenen wurde.
Ich lächle jetzt, da ich an unsere Ausschweifungen denke.
O Jammer, warum gilt Liebe denn als Sünde … Meine Frau von Bath wusste zu gut, wie süß sie sein konnte.
Meistens gingen wir nach Machecoul in diesen Tagen, aber manchmal reisten wir auch zum l’Hôtel de la Suze, auf der anderen Seite von Nantes. Es war so bequem und behaglich wie alle Häuser Milords, vor allem im Winter; in den kurzen, kalten Tagen des Januar war es dort, auch wenn es keiner erklären konnte, viel weniger zugig als in den meisten anderen seiner Liegenschaften.
Die Rückreise nach Champtocé jedoch war immer viel angenehmer, weil Etienne und ich es als unsere Heimat betrachteten. Meine größten Freuden und die schrecklichsten Kümmernisse hatte ich dort erlebt. Wie töricht war es doch, mich derart von dem Ort in Anspruch nehmen zu lassen, da ich doch keinen solchen Anspruch auf ihn hatte.
Kurz nach Mittag kamen Frère Demien und ich durch das Dorf von Champtoceaux. Es gab dort eine Schänke, in der ich oft mit meinem Gatten abgestiegen war, der gerne jedem Musiker zuhörte, wie schlecht er auch sein mochte. Oft packte er mich dann an der Taille und wirbelte mich im Takt der Trommel herum; meine Röcke flogen auf höchst unschickliche Art, doch ihm war es einerlei – er liebte den Trubel und verlor sich gern darin.
Plötzlich drängte es mich, wieder in diesem Raum zu sein. »Vielleicht gibt es hier Geschichten«, sagte ich laut.
»Geschichten gibt es überall.«
»Bruder, lasst uns hier Erfrischungen zu uns nehmen.«
Er hatte nichts dagegen. Wir banden unsere Tiere vor der ehrwürdigen Einrichtung an, deren Holzschild, auf dem einfach nur Schänke stand, leicht schief an einem gusseisernen Ständer hing, wie schon bei meinem ersten Besuch.
Kaum waren wir eingetreten, sah ich, dass nichts sich verändert hatte, weder der Wirt noch seine dralle Frau, die noch immer durch den Gastraum stolzierte, als wäre sie die Herrin des feinsten Palastes. Ihre Leibesfülle hatte zugenommen, wohl um das Doppelte, wenn ich mich recht erinnere.
Wir legten unsere Umhänge ab und setzten uns einander gegenüber auf Bänke an einem langen Tisch. Der Wirt kam herbei, um uns zu bedienen; er sah mir direkt ins Gesicht, erkannte mich aber nicht, wobei ich allerdings auch damals kaum Stammgast genannt werden konnte, da ich nicht in Champtoceaux selbst wohnte. Dennoch schmerzte es mich kurz, und ich fragte mich, ob wir überhaupt hier hätten einkehren sollen.
»Gott segne Euch, Mutter«, sagte er und verbeugte sich leicht in meine Richtung. »Und Euch auch, Bruder«, sagte er, an Frère Demien gewandt. »Womit kann ich Euch heute dienen?«
»Einen Krug«, erwiderte Frère Demien.
»Und dann ein Wort«, fügte ich hinzu.
»Worüber denn ein Wort?«
»Was hier in dieser Gegend sich ereignet«, sagte ich. »Ich war schon lange nicht mehr hier, früher allerdings des Öfteren.«
Der Mann lächelte schalkhaft und verließ uns für einen Augenblick. Ich schaute mir die anderen Gäste an; in einer Ecke saß ein älterer Mann, dessen Gesicht ich nicht klar erkennen konnte. Er kam mir bekannt vor, ich wusste aber nicht so recht, wo ich ihn hintun sollte. Der Mann war groß und unerhört weißhaarig, was mir aber am meisten an ihm auffiel, waren seine riesigen Hände, in denen das Messer, mit dem er an einem kleinen Holzstück schnitzte, winzig erschien. Seine Finger bewegten sich mit kundigem Feingefühl, und ich war maßlos neugierig, was er wohl schnitzte. Ein Häufchen Schnipsel und Späne lag vor ihm auf dem Tisch. Wenn die Hausherrin hin und wieder vorbeikam, wischte sie mit einer schnellen Handbewegung die anstößigen Späne auf den Lehmboden, wo sie dazu dienten, verschüttetes Bier aufzusaugen.
Ihr Gatte kam mit einem großen Krug Bier und zwei Bechern, die er vor uns hinstellte, an unseren Tisch.
Wir tranken, und der Wirt begann zu erzählen. »Mal sehen, was ist alles geschehen …« Er leierte eine kurze Liste alltäglicher Ereignisse herunter: die Geburt einer Kuh, der
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