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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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bewundernd. » Très belle « , säuselte er die Frucht an. » Magnifique! «
    Guy Marcel lächelte freundlich. »Ihre Vollkommenheit ist nicht mein Werk. Wir haben einen hervorragenden Gärtner, der sich um alle unsere Bäume kümmert. Ich weiß nichts von all diesen Dingen, außer wie ich die Früchte der Weisheit und der Arbeit eines anderen genießen kann. Aber man hat mir gesagt, dass die Erde hier auf wunderbare Weise ideal ist für Birnen, und dass darin das Geheimnis liegt.«
    »Ich würde gern den Obstgarten sehen und eine Probe der Erde nehmen, wenn ich darf«, sagte Frère Demien.
    »Ich werde mich darum kümmern«, erwiderte Marcel und wandte sich dann mir zu. »Und, Madame, wie geht es Euch dieser Tage?«
    Er deutete auf das Kreuz, das vor meiner Brust hing. »Ihr steht im Dienst Gottes, wie ich sehe …«
    Ich berichtete dem alten Mann von meinem Leben seit meinem Weggang aus Champtocé, doch dieser Bericht dauerte leider nur drei oder vier Atemzüge. Er war so freundlich, daran Anteil zu zeigen, und beglückwünschte mich zu meinem scheinbar so großen Glück.
    »Ich glaube, es ist sehr gut, das Vertrauen seines Herrn zu haben.«
    »Das dürftet Ihr besser als sonst jemand wissen.«
    »Und wie geht es Eurem Sohn, Madame? Wenn Gott mir nicht so viel meines Gedächtnisses geraubt hätte, würde ich mich an seinen Namen erinnern …«
    »Jean«, sagte ich. »Er dient Seiner Heiligkeit in Avignon. Ich muss beständig Buße tun wegen meines übergroßen Stolzes deswegen.«
    Wir lachten alle ein wenig. Dann gab es keinen Grund mehr, mein Anliegen weiter hinauszuzögern.
    »Ich möchte Euch einige Fragen stellen, Monsieur, über meinen anderen Sohn, Michel.«
    Als ich den Namen aussprach, schien Guy Marcel ein wenig zurückzuzucken. »Madame«, protestierte er, »es ist schon so viele Jahre her, dass diese Tragödie geschehen ist …«
    »Auch ich leide inzwischen unter den Launen des Gedächtnisses. Ich werde Euch eine unvollständige Erinnerung nicht zum Vorwurf machen.«
    »Ihr seid noch viel zu jung, um solche Gebrechen zu haben«, sagte er mit freundlichem Lächeln. »Lasst uns von anderen Dingen reden.«
    Sein Kompliment schmälerte meine Entschlossenheit nicht, und auch sein reizender Versuch, das Thema zu wechseln, konnte mich nicht von meinem Ziel abbringen. Aber da ich ihm kein Unbehagen bereiten wollte, saßen wir einige Augenblicke schweigend da, und diese Pause im Gespräch schien in besonderer Weise meinen schon so lange toten Sohn zu ehren. Geduldig wartete ich, bis mir die Zeit gekommen schien, weiter in ihn zu dringen.
    »Ich möchte Euch nur bitten, mir alles zu erzählen, woran Ihr Euch noch erinnern könnt.«
    Der arme Mann wand sich. »Madame, was gibt es da noch mehr zu erfahren. Der Knabe ist einfach verschwunden – wir wissen nicht, warum. Vielleicht war es ja der Angriff eines Keilers, wie Milord Gilles uns berichtete. Aber das kann niemand sagen.« Er schaute zwischen mir und meinem jungen Bruder hin und her und trank dann einen langen Schluck von seinem Hippokras. »Ich wünsche mir aufrichtig, dass Gott Euren Knaben in seinen Armen wiegt, wie ich es auch für mich eines Tages ersehne. In nicht mehr allzu langer Zeit, wie ich befürchte.«
    »Als Milord an diesem Tag zurückkehrte, was genau hat er da zu Euch gesagt?«
    »Madame, bitte – nach so vielen Jahren kann ich mich an solche Einzelheiten nicht mehr erinnern.«
    Obwohl seit Etiennes Tod mehr als ein Jahrzehnt vergangen war, konnte ich mich an den Anblick seines schwärenden Beins noch mit solcher Klarheit erinnern, dass ich es am liebsten aus meinem Gedächtnis verbannt hätte, wenn ein solches Wunder denn möglich wäre. Verzweifelt hatte ich in den Jahren versucht, mich selbst von dem Anblick seines schwarzen Beins zu erlösen, das immer weiter faulte, bis es ihm das Leben nahm. Doch wie ernsthaft ich mich auch bemühte, es gelang mir nicht: Es verharrt in meiner Erinnerung wie ein Stein, der zu schwer ist, um ihn hochzustemmen und fortzuschleudern. Irgendwo in Guy Marcels Bewusstsein war die Erinnerung daran verborgen, was Gilles de Rais bei seiner Rückkehr von dem Ausflug gesagt hatte, der mir meinen Sohn genommen hatte. Ich würde ihm diese Worte wieder entlocken.
    Und das sagte ich ihm auch unmissverständlich. » Monsieur, solche Dinge, wie Ihr sie gehört habt, können nicht aus dem Gedächtnis gelöscht werden. Ihr müsst nur einen Augenblick nachdenken, dann habt Ihr es wieder deutlich vor Euch, da bin ich mir

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