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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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des Besitzes weiß, nur um einen seiner Gefolgsleute zu beschäftigen?«
    »Es gibt viele große Herren, die völlige Narren sind, und Gefolgstreue ist eine mächtige Kraft.«
    »Nicht so mächtig, wie sie einst war, ma sœur, und sie wird auch nie so anziehend sein wie Weisheit, für die man nicht bezahlen muss.«
     
    Die Überwürfe der Torwächter trugen das Wappen von René de la Suze, wie wir bereits gehört hatten. Und der Einfluss der Weisheit war während seiner Herrschaft über Champtocé erhalten geblieben, denn der Vogt Marcel lebte noch immer hier.
    »Ich hätte mit Euch eine Wette eingehen sollen«, sagte Frère Demien mit einem Grinsen.
    »Ihr hättet nicht zur Gänze gewonnen«, gab ich zurück.
    »Aber das Ergebnis hätte einen gewissen Lohn verdient, das müsst Ihr zugeben.«
    »Aber nicht den vollen Einsatz. Wir haben beide nicht ganz Recht.«
    Marcel wohnte in der Tat noch hier, seine Pflichten allerdings waren einem jungen Mann übertragen worden, den René de la Suze ausgewählt hatte. Gilles de Rais’ vernünftiger jüngerer Bruder hatte allerdings den älteren Mann zum dauerhaften Berater seines unerfahrenen Gefolgsmanns ernannt, dem dessen Rat nur nutzen konnte. Zugleich wurde der alte Vogt für seine treuen Dienste belohnt, was nur recht und billig war.
    Der kraftstrotzende Mann in mittleren Jahren, der Guy Marcel gewesen war, als ich noch in Champtocé wohnte, war in dem alten Mann, der er nun geworden war, noch immer deutlich zu sehen.
    Seine Augen versprühten nach wie vor joie de vivre, sein Schritt war noch immer entschlossen, wenn auch inzwischen etwas kürzer. Darüber hinaus zeigte seine Körperhaltung noch denselben Stolz, an den ich mich so gern erinnerte. Vorhanden war auch noch seine fast übertriebene Höflichkeit, vor allem gegenüber Reisenden.
    » Bonjour, mon frère « , sagte er zu Frère Demien, als er auf uns zukam. » A votre service. «
    » Merci bien, aber es ist meine Schwester in Christus, die Eurer benötigt, nicht ich«, sagte der junge Mönch.
    Guy Marcel wandte sich mir zu und betrachtete mein Gesicht, ohne mich wieder zu erkennen. Dabei starrte er nicht unverhüllt, wie ein weniger höflicher Mann es getan hätte. Stattdessen sagte er: »Es freut mich sehr, Eure Bekanntschaft zu machen, Schwester.«
    Ich lachte leise auf. »Ach, Monsieur, ist es schon so lange her?«
    » Pardon? «
    »Einst nanntet Ihr mich Madame la Drappière«, sagte ich.
    Es verschlug ihm beinahe den Atem. » Mon Dieu, Madame, Ihr seid zurückgekehrt!«
    Konnte es sein, dass man ihm nicht gesagt hatte, was nach Etiennes Tod mit mir geschehen war? Die Frauen wussten es wahrscheinlich, denn mein Schicksal hätte jede von ihnen treffen können. Aber ich war mit seiner Frau nicht sonderlich befreundet gewesen, als wir beide noch hier wohnten – sie war ein zänkisches Weib und immer übellaunig, deshalb hatte ich sie gemieden, wie er selbst es wohl auch oft tat. Ich fragte mich, ob sie noch am Leben war.
    Die Arme weit ausgebreitet, kam er auf mich zu. »Madame«, sagte er herzlich, »es ist wahrlich wunderbar, Euch nach so vielen Jahren wieder hier zu sehen.«
    Ich stellte Frère Demien vor und erkundigte mich dann höflich nach der unfreundlichen Gattin. Er sagte mir, dass ihr schon seit Jahren die ewige Ruhe beschieden sei. All dies fand statt, bevor wir überhaupt abgestiegen waren. »Ich will Euch einen Burschen für Eure, äh, Tiere rufen«, sagte Marcel. Er bot mir die Hand an, was mir den Abstieg erleichterte, der ansonsten ziemlich unschicklich geworden wäre. Während unsere Tiere weggebracht wurden, führte er uns Zweibeiner in dasselbe Quartier in der Nähe des äußeren Tores, das Monsieur Marcel schon in dieser früheren Zeit bewohnt hatte. Der neue Vogt hatte es vorgezogen, tiefer innerhalb der Festung zu wohnen, vielleicht um der Sicherheit willen, was verständlich war, denn das erste Gebäude, das bei einem Überfall angegriffen würde, wäre dieses, da es so weit am Rand und ungeschützt lag; die Achillesferse eines jeden Schlosses, wie Etienne gesagt hatte. Aber der alte Mann war vermutlich an die Gefahr gewöhnt und hätte sie vielleicht vermisst, hätte man ihn woanders untergebracht.
    Er hieß uns an einem langen Tische Platz nehmen und bot uns Erfrischungen an, die wir sehr gerne annahmen. Dann saßen wir über Gläsern mit Hippokras und einem Teller errötend reifer, frisch vom Baum gepflückter Birnen beisammen. Frère Demien drehte eine in Händen und seufzte

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