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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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Schlosses warteten zu viele Geister auf mich, und weder wollte ich mich von ihnen quälen noch von den gegenwärtigen Bewohnern mustern lassen, was beides mit Sicherheit geschehen wäre, hätte ich auch nur einen Fuß in diese Mauern gesetzt. All unsere Bedürfnisse waren befriedigt, und ich ging dankbar betrunken zu Bett, ohne vorher zu beten.
    Als Antwort auf meine Nachlässigkeit suchte Gott mich mit grässlichen Träumen in der Nacht und dröhnenden Kopfschmerzen am nächsten Morgen heim, die auch kaltes Wasser aus dem Becken nicht lindern konnte. Auch half es nicht viel, dass Frère Demien mir seine warmen Hände auf die schmerzende Stirn drückte, obwohl er noch einen wortreichen und überschwänglichen Segensspruch hinzufügte. Mit einem verständnisvollen Lächeln und einem merkwürdigen Gemurmel über das Vertreiben eines Katers nötigte unser verehrter Gastgeber mir einen frischen Becher Hippokras auf, der eine ganz wundersame Heilung bewirkte. Und noch wundersamer war, dass er mich nicht betrunken machte.
    »Aber jetzt, da Ihr mich wiederhergestellt habt«, sagte ich, »muss ich noch einen Gefallen von Euch erbitten.«
    Er wirkte nicht erfreut, blieb aber dennoch höflich. » Oui, Madame. «
    »Wenn wir zu den Obstgärten gehen, möchte ich, dass Ihr uns auch zu dem Hohlweg bringt, wo Milord Michel das letzte Mal gesehen haben will.«
    Die Bitte schien ihm nicht so recht zu behagen, denn er runzelte leicht die Stirn. »Was ist damit gewonnen, Madame?«, fragte er.
    »Ich weiß es nicht. Aber ich fühle mich gezwungen, dorthin zurückzukehren.«
    Es gab keinen vernünftigen Grund für eine Weigerung, und so willigte er ein. Wir packten unsere wenigen Habseligkeiten, schnallten sie auf unsere Reittiere und ritten dann in die Richtung der Obstgärten. Während dieser ganzen Zeit sprach Frère Demien unaufhörlich über die Pflege von Obstbäumen. Die ersehnte Hand voll Erde wurde von meinem jungen Reisebegleiter ausgegraben und sorgfältig untersucht, indem er an ihr roch, sie probierte, zwischen den Fingern zerrieb und mit seinem Speichel vermengte, alles, um ihr ihr Geheimnis zu entlocken. Doch seine abschließende Bemerkung nach alledem lautete nur: Hmmm. Ich wunderte mich, sagte aber nichts, da meine Gedanken woanders waren.
    Wir verließen den Obstgarten auf einem Pfad in Richtung Westen und ritten ein kurzes Stück. Bald erreichten wir das markante Eichenwäldchen und bogen dort auf einen neuen Pfad ein, dem wir ein noch kürzeres Stück folgten, bis er plötzlich sehr steil nach unten führte.
    Kurz unterhalb der Hügelkuppe, etwa die Körperlänge eines Mannes, war das kleine weiße Kreuz, das Etienne in die Erde gesteckt hatte, um die Stelle zu kennzeichnen, wo unser Kummer begonnen hatte, obwohl wir nicht genau sagen konnten, wo es war. Er hatte mich hierher geführt, kurz nachdem er es aufgestellt hatte; und ich weiß noch, dass ich mich fragte, ob dieses Kreuz das einzige Memento meines Sohnes sein würde und nicht die Legenden und Berichte über Heldentaten, die wir uns erhofft hatten.
    Ich starrte das Symbol seines Gedenkens an, so weiß und strahlend vor dem Grün und Braun der Umgebung. Obwohl es schon seit vielen Jahren ungeschützt an dieser Stelle stand, wirkte es erstaunlich frisch.
    »Jemand muss sich darum gekümmert haben.«
    » Oui, Madame « , sagte Marcel leise. »Wir kommen hin und wieder mit Tünche hierher.«
    Ich konnte meine Dankbarkeit kaum in Worte fassen. In der andächtigen Stille wirkte das Plätschern des Baches am Grund des Abhangs wie eine unheilige Ausgelassenheit.
    Schließlich fragte ich: »Steigt der Bach im Frühling stark an?«
    »Ein ziemliches Stück.«
    »Und im Herbst – trocknet er aus?«
    »Soweit ich weiß nicht, Madame. Wir hatten in diesem Monat nur wenig Regen, und dies ist normalerweise die trockenste Zeit, also wird er kaum viel flacher werden, als Ihr ihn jetzt seht.«
    Ich sah, wie das klare Wasser sich über den Steinen kräuselte. Es war mehr als genug, um Blut abzuwaschen.
     
    Auf der Straße, die an der Wiese vor dem Schloss entlangführte, verabschiedeten wir uns von Guy Marcel; wir würden nach Westen in Richtung Nantes reiten, und er in die Gegenrichtung zu seinem Haus in der Festung. Frère Demien wünschte unserem Gastgeber ehrerbietig alles Gute, aber ich brachte nur eine zärtliche Melancholie zustande – der Vogt war eine der wenigen noch verbliebenen Verbindungen zu Champtocé, und Gott allein wusste, ob wir uns wiedersehen würden,

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