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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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Jungen.
    Es war da, so dicht, dass ich es beinahe greifen konnte.
    Was es auch sein mochte.
    Spence war an seinem Schreibtisch. »Ich muss jetzt sofort noch einmal ins Studio zurück. Muss mir alles noch mal anschauen.«
    Er fragte nicht lange nach. »Ich fahre«, sagte er. Wir waren schon beinahe durch die Tür, als mein Piepser sich meldete.
    Ach ja – ich hatte Kinder, die Essen, Fahrgelegenheiten und hin und wieder auch Trost brauchten. In diesem ganzen Irrsinn hatte ich das beinahe vergessen. »Was ist denn jetzt?«, fragte ich laut.
    »Hat Evan seine Schienbeinschützer wieder vergessen?«
    Diesmal nicht. Es war der Sergeant vom Dienst. Ich hatte einen Besucher.

23
    Wer den Tod betrügt, indem er ein außerordentlich hohes Alter erreicht, wird oft in einen fast mythischen Rang erhoben, ob nun eine solche Ehrerbietung durch bemerkenswerte Taten oder einen makellosen Charakter verdient wurde oder nicht – wir wissen von einer Frau aus Saint-Etienne, die einhundertundzwei Frühlinge erlebte; sie war niederträchtig und von trägem Geist, ein richtiges Zankweib in ihren mittleren Jahren, und doch kamen die Leute von weit her, um sie zu berühren, in der Hoffnung, ein wenig von ihrer Langlebigkeit aufzunehmen. Wenn Madame Catherine Karle diesen Markstein erreicht hätte, dann hätten wir sicherlich davon erfahren, denn sie war eine wahrlich bemerkenswerte Frau. In Champtocé berichteten Leute, die sie kannten, dass sie mit Steinen und Kieseln und einer Hand voll Erde wahre Wunder wirken konnte, und ich fand keinen Grund, dies nicht zu glauben.
    Ihr Sohn Guillaume war ein guter, starker Mann mit einem freundlichen und verständnisvollen Wesen, der der Beste aller Gatten gewesen wäre, hätte er je geheiratet. Mir schien es immer, als müsste er einen höheren Rang bekleiden; er hatte etwas an sich, das ihn von uns anderen abhob. Er blieb für sich, ohne jedoch hochnäsig zu sein; dennoch hatte er eine gewisse »Größe« an sich, eine Vornehmheit der Erscheinung, die nicht zu übersehen war. Doch sie drückte sich aus in guten Worten und Taten, in deren Genuss auch ich kam. Am Ende des Martyriums meines Mannes, als ich ihn nicht mehr allein umdrehen konnte, war Guillaume immer bereit, mir mit seinen starken Armen und seinem guten Herzen bei der Pflege des Sterbenden behilflich zu sein.
    Ich war damals als viel jüngere Frau den Anforderungen und Freuden des Lebens viel näher. Zu dieser Zeit mochte Guillaume annähernd fünfzig Jahre gezählt haben, er war ein sehr gut aussehender Mann, groß, aufrecht, schlank und gut gebaut, mit himmelblauen Augen und einem sehr schönen Lächeln. Voller Scham muss ich gestehen, dass ich in Etiennes letzten Tagen Guillaume mit einer gewissen Sehnsucht betrachtete. Ich hatte die Manneskraft meines Gatten seit seinem Weggang nach Orléans nicht mehr erlebt, und ich vermisste seine Zärtlichkeiten schrecklich. Inzwischen habe ich mir diese schändlichen Gedanken vergeben, aber ich glaube nicht, dass Gott schon dazu bereit ist, und würde Jean de Malestroit sie kennen, wüsste ich nicht, wie viel Buße er mir für meine menschliche Schwäche auferlegen würde.
    Unser Weg führt uns sowieso durch Champtoceaux, sagte ich mir, und nicht einmal Seine Eminenz kann etwas gegen eine weitere kurze Verzögerung unserer Rückkehr einwenden. Und Guillaume Karle war leicht zu finden: Ein jeder, den wir fragten, kannte ihn und sprach mit großer Bewunderung von dem alternden gentilhomme. Dennoch konnte niemand wissen, was sich hinter einer geschlossenen Tür befand, und mein fürsorglicher Begleiter wollte mir nicht gestatten, ihn allein aufzusuchen. Nur um Eurer Sicherheit willen, Schwester, hatte Frère Demien sehr ernsthaft gesagt. Da musste ich mich fragen, wie ich ohne seinen Schutz all die Jahre hatte unbeschadet überstehen können – wohl nur dank eines unsichtbaren, geheimnisvollen Engels, dessen Macht ausschließlich für die reisende Äbtissin reserviert war. Also wirklich.
    Ich sah zu, wie die Tür nach innen aufschwang, und als der Bewohner erschien, stand vor mir der Mann, den wir in der Taverne gesehen hatten. Mit neuerlicher Verwunderung betrachtete ich seinen dichten Schopf weißer Haare. In mir regte sich eine Freude, die ich gerne verbannt hätte, doch sie blieb – ja wurde sogar noch größer –, als ich ihn nun nach so langer Zeit wieder betrachtete. Ich sah auch in seinem Gesicht Überraschung und vielleicht auch ein wenig Freude; er wandte sich mir zu und beschirmte mit

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