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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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unzufrieden ließ er mich mit meiner größten Hoffnung allein – den Bändern. Ich wusste, ich musste mich nur hinsetzen und mir diese Kopie anschauen, und irgendetwas würde mich anspringen. Ich sah sie mir immer und immer wieder an.
    Escobar war vom Wohnhaus zurück.
    »Was gefunden?«
    » Nada. «
    »He, hast du mal ein paar Minuten Zeit?«, fragte ich.
    »Normalerweise dauert es länger.«
    Ich lachte. »Das werde ich mir merken. Könntest du dir einfach diese Kassette anschauen und mir sagen, was du siehst?«
    Er setzte sich hin und schaute. »Sie sind alle blond«, sagte er.
    »Das weiß ich bereits.«
    »Sie sind alle jung.«
    »Das auch.«
    »Sie sehen alle aus wie richtig nette Jungs.«
    Unschuld, da waren wir uns einig, war das Selektionsmerkmal.
    »Hat keinen großen Beweiswert«, sagte Escobar.
    Er hatte Recht. Ich konnte mir schon jetzt vorstellen, was Doc sagen würde, dass nämlich diese Merkmale alles darstellten, was der Entführer selbst gern gewesen wäre und dass er in seinen Augen das eigentliche Opfer war – ein süßer kleiner Junge, dem immer und immer wieder wehgetan wurde. Dass er wütend war, weil man ihm seine Kindheit geraubt, seine Unschuld zerstört hatte, so wütend, dass es ihm zur fixen Idee wurde, dafür zu sorgen, dass er nicht der einzige kleine Junge blieb, dem so etwas passierte. Wilbur selbst war weit über das Alter hinaus, in dem man die Narben und Verletzungen der Kindheit einfach abschütteln konnte, um den Boden zu bereiten für diesen kostbaren Seelenzustand. Er erkannte die Zutraulichkeit in jedem seiner Opfer und versuchte, sie für sich selbst zu erreichen.
    Aber diese Erkenntnis würde mir noch keinen Haftbefehl einbringen. Und auch nichts, was man im Wohnhaus gefunden hatte. Dort waren zwar keine Anwälte, aber Escobar schimpfte schier endlos über einen sehr lästigen Boy, der ihnen von einem Zimmer zum nächsten folgte und sich wild gestikulierend und in einer fremden Sprache über die Unordnung aufregte, die sie hinterließen.
    »Er regte sich furchtbar auf, weil wir überall alles herumliegen ließen«, sagte Escobar. »Dabei war die Filzaktion viel ordentlicher als die meisten, einfach deshalb, weil es nicht viel zu filzen gab – jedes Teil stand so, als hätte es eine Bedeutung. Natürlich war danach mehr Durcheinander als davor. Und dieser Boy drehte völlig durch deswegen.«
    Dass kein Anwalt sich zeigte, war eine so offensichtliche Unterlassung, dass sie einfach ins Auge sprang. Warum nicht Anwälte in beide Häuser schicken, wenn man in keinem etwas zu verstecken hat? Ein Mann wie Durand hatte doch sicher einen Anwalt mit mehreren Untergebenen. Dass er also keinen Anwalt in sein Priva thaus schickte, während es durchsucht wurde, konnte nur bedeuten, dass er dort wirklich nichts zu verbergen hatte.
    Die vor der Durchsuchung aufgenommenen Polaroids zeigten deutlich, dass Escobar Recht gehabt hatte – das Interieur war so karg wie ein Schrein, der Tempel eines Kontrollfreaks par excellence. Das Schlafzimmer wirkte wie der unterkühlteste Ort, den ich je gesehen hatte. Das Bett war aus Ebenholz, sehr dunkel und ohne jede Verzierung an Kopf- oder Fußbrett. Hatte wahrscheinlich so viel gekostet wie mein Auto. Es gab Nachttischchen, aber es stand so gut wie nichts darauf, nur diese kleinen Skulpturen oder was auch immer – ich weiß wirklich nicht, wie ich sie nennen soll –, sie sahen irgendwie aus wie buddhistische Meditationssteine. Völlig nutzlos außer als Staubfänger. Auf meinem Nachttischchen habe ich Bücher und Feuchtigkeitscreme und ein Glas Wasser, K-Y, falls ich mal Glück haben sollte, und jede Menge anderer Sachen.
    Was mir aber wirklich ins Auge stach, war das, was er über dem Bett hängen hatte – ein Poster für seinen Film Sie essen dort kleine Kinder.
    »Wo war der Sarg?«
    Escobar kapierte es nicht.
    »Der, in dem er wahrscheinlich schläft«, sagte ich.
    Escobar stand grummelnd auf. »Du fantasierst ja schon. Wird Zeit, dass du heimgehst.«
    Ich wandte mich den Polaroids vom Studio zu. Die Zerstörung der Unschuld war überall sichtbar in den künstlichen Körperteilen und -flüssigkeiten, den sehr echt wirkenden Plastikschwertern und -messern, den so perfekt gestalteten und bemalten Vinylwunden mit Muskel- und Sehnenresten und Verwesung. Ich versuchte, die Abbildungen der Fotos in meiner Vorstellung mit den Bildern von den Bändern zu überblenden. Und dann überblendete ich dies mit meinen Eindrücken aus den Zimmern der

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