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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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langem Sitzen einsetzt. Am liebsten hätte ich ihm meine Hand gereicht, um ihn zu stützen, doch ich beherrschte mich, und er schaffte es auch alleine.
    »Ihr habt mir viel zum Nachdenken gegeben, Monsieur « , sagte ich, als wir kurze Zeit später unsere Reittiere bestiegen. »Ich bin Euch dankbar für Eure Offenheit.«
    Er berührte meine Hand mit aufrichtiger Herzlichkeit. »Solche Dinge erzeugen aber keine angenehmen Gedanken.«
    »Betrachtet werden müssen Sie aber dennoch.«
    Seine Augen sagten, was seine Lippen nicht aussprechen wollten: dass man gewisse Dinge besser auf sich beruhen lassen sollte und dass der Wald, den ich betreten wollte, ein gefährlicher war.
    Doch betreten würde ich ihn. Sollten auch die Wölfe von Paris und die Keiler von Champtocé mir dort auflauern. Ich war bereit, mich ihnen zu stellen.

24
    Ich hatte richtig vermutet: Wilbur Durand war nicht außer Landes. Er war so nahe: Ich brauchte nur die Arme weit genug auszustrecken, um ihn zu berühren. Er atmete ein und aus, wie alle anderen im Zimmer; ich sah, wie seine Brust sich hob und senkte, während er auf der anderen Seite der Empfangstheke stand. Ansonsten war er wie eine Statue, völlig bewegungslos und monochrom.
    Ich trat zur Seite, um ihn aus der Deckung der Theke zu locken, damit ich ihn besser ansehen konnte. Doch er rührte sich nicht von der Stelle, drehte sich nur leicht, um mir mit den Augen folgen zu können. Ich konnte nicht anders, ich musste ihn einfach kurz anstarren. Ach bitte, bitte, bitte, flehte ich stumm diesen dunklen Dämon an, mach irgendwas Dummes – zieh ein Messer, und spring mich unvermittelt an, so dass ich meine Knarre ziehen und dir eine Kugel direkt in dein verqueres Hirn jagen kann.
    Aber um hier raufzugelangen, hatte er zuvor die Sicherheitskontrolle passieren müssen, zu der auch ein Metalldetektor gehört, er war also waffenfrei. Trotzdem war er alles andere als unbewaffnet – wenn er die dunkle Brille abnahm, die seine Augen verdeckte und mich davon abhielt, sie zu lesen, würden Laserstrahlen zünden und mir ein Loch in die Stirn brennen.
    »Mr. Durand«, sagte ich dümmlich. »Ich bin Detective Lany Dunbar.«
    Was für eine Idiotin ich doch war – er wusste, wer ich bin. Er schnaubte verächtlich und ignorierte meine ausgestreckte Hand.
    »Vielen Dank, dass Sie gekommen sind«, stotterte ich.
    Ich fühlte mich wie gefriergetrocknet, kristallin; eine schnelle Bewegung, und ich würde in Millionen Splitter zerspringen, die sich nie wieder zusammensetzen ließen. Doch meine Sinne hatten mich noch nicht völlig verlassen; ich betrachtete ihn, brannte mir sein Bild ins Vorderhirn wie ein Foto, schätzte ihn ein, so gut ich nur konnte. Durand war von durchschnittlicher Größe, sehr schlank und teigig weiß, wo seine Haut sichtbar war. Er hatte dunkle, glatte und eher längere Haare, die sehr sauber geschnitten waren. Sehr dunkle Gläser verbargen seine Augen. Er hielt sich stocksteif, das Rückgrat sehr gerade. Vor mir stand eine wandelnde Karikatur, ich wusste nur nicht so recht, von was.
    Trotz seiner ganzen Affektiertheit war er schrecklich unauffällig – in einer Menge hätte ich ihn wohl kaum erkannt. Durand war die Art Mensch, die sich sehr leicht klein und unwichtig erscheinen lassen konnte. Er konnte wahrscheinlich in jede beliebige Rolle schlüpfen. Doch als er plötzlich etwas sagte, lief es mir kalt über den Rücken.
    »Geben Sie mir mein Studio zurück.«
    Kein »Wie geht es Ihnen« oder sonst einen der üblichen Grüße. Seine Stimme überraschte mich; ich hatte eine faszinierende Modulation erwartet, wie bei Vincent Price oder Will Lyman. Doch anstelle der volltönenden, gebieterischen Stimme, die ich erwartet hatte, stieß er eine Reihe schriller Silben aus, die, so unwahrscheinlich es war, zu einer Forderung verschmolzen.
    Ein Alt, wäre er ein Sänger – absolut keine Männerstimme, aber eigentlich auch keine Frauenstimme. Wenn er mich angerufen hätte, hätte ich nicht sagen können, welchen Geschlechts er war. Seine Stimme klang irgendwie verfälscht, als würde er durch einen Verzerrer oder unter Wasser sprechen; jedes Wort hörte sich an wie Metall auf Metall. Er sagte nicht: Guten Tag, ich bin Wilbur Durand; ich habe erfahren, dass Sie mit mir sprechen wollen. Er äußerte nur diese eine Forderung: Geben Sie mir mein Studio zurück.
    Dieses Studio war seine Schwäche.
    Es war erschütternd zu erkennen, wie schlecht meine Vorstellung von Wilbur Durand zur Realität

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