Die Schreckenskammer
passte. Ich hatte eine mächtigere Stimme erwartet, einen mächtigeren Körper, eine beeindruckendere Präsenz. Er war so unauffällig, dass ich unter anderen Umständen kein zweites Mal hingeschaut hätte. Aber ich wusste, was ich wusste, und mich schauderte bei dem Gedanken, mit ihm in einem Zimmer zu sein, diesem Katzenkiller, diesem Kinderstehler, diesem wahrscheinlichen Mörder. Ich hoffte inständig, dass er es nicht bemerkte. Aber natürlich tat er es.
Als der Dienst habende Sergeant mir sagte, wer auf mich wartete, legte ich die Fotos meiner Kinder um, die auf meinem Schreibtisch standen, damit er sie nicht sah, falls ich es schaffte, ihn für ein Gespräch in den Mannschaftssaal zu schleppen. Ich wollte nicht, dass er mit meinem Privatleben in Berührung kam.
Bei einem wie Durand wäre es einleuchtend gewesen, wenn er mit einer ganzen Horde Leibwächter auftauchte, aber er war allein. Eine verrückte Frage ging mir nicht mehr aus dem Kopf: Wie viel Unverfrorenheit braucht es, um allein in einem Polizeirevier aufzutauchen, wenn man mit gutem Grund annehmen kann, dass man eines Kapitalverbrechens, vielleicht sogar mehrerer, verdächtigt wird? Anscheinend wirkte in ihm einer von zwei offensichtlich gegensätzlichen Seelenzuständen: entweder ein furchtloses Vertrauen in die Akzeptanz durch die Umgebung, wenn man Grenzen überschreitet, oder ein soziopathischer Zustand, in dem die Grenzen empfehlenswerten Verhaltens nicht erkannt und deshalb ignoriert werden. Vielleicht beide, auf jeden Fall schaffte er es, mich nervös zu machen, und ich bin mir sicher, dass er es wusste.
Er warf mir einen höhnischen Blick zu, der bedeutete: Hab ich dich erwischt. Und das hatte er – ich war ziemlich sprachlos, als sich auf seinem Gesicht ein herausforderndes Lächeln ausbreitete.
Inzwischen war Spence bei mir. Ihm fiel wieder ein, wie ein Mund funktioniert, lange bevor ich mich daran erinnerte. »Ihr Studio ist gemäß richterlicher Anordnung unter Verschluss, Mr. Durand. Sie erhalten es erst wieder zurück, wenn wir die Inventarisierung aller potenziellen Beweisstücke, die wir dort fanden, abgeschlossen haben.«
Durand ignorierte Spence völlig und richtete seine Erwiderung an mich. »Ich habe kein Verbrechen begangen. Deshalb kann es auch keine Beweisstücke geben.« Seine Mundwinkel zuckten beinahe unmerklich, doch alle anderen Gesichtsmuskeln blieben starr.
»Was immer Sie dort für echte Beweise halten, ist nur die Illusion eines Beweises.«
Meine Stimme kehrte zurück, aber sie klang bestimmt zitterig.
» Mr. Durand, wir werden den Beweiswert dessen, was wir dort finden, so schnell wie möglich bestimmen. Wir werden Ihnen nicht länger als absolut nötig zur Last fallen. Unterdessen aber gibt es in Bezug auf Ihren Besitz ernste Haftungsfragen zu klären – wir müssen absolut sicher sein, dass wir alles richtig machen, sowohl zu unserem Schutz wie zu Ihrem. Wegen des möglichen historischen und künstlerischen Werts der Dinge, die Sie dort haben, hat unser Rechtsbeistand uns geraten, mit extremer Vorsicht vorzugehen.«
Er wusste, was das eigentlich bedeutete: dass wir in seinem Studio bleiben würden, bis man uns mit juristischen Winkelzügen hinauswarf. Ich nahm all meinen Mut zusammen und ging noch einen Schritt weiter. »Wenn Sie ein paar Minuten Zeit haben, wäre es gut, wenn Sie mit mir in eins der Befragungszimmer kommen würden. Dort können wir ungestörter reden.«
»Nein.«
Mehr sagte er nicht. Er hätte sich darüber auslassen können, was sein Anwalt mit uns anstellen würde, aber er tat es nicht; er hätte toben und schimpfen und mich verfluchen können, aber er blieb stumm. Er hatte nicht vor, sich überhaupt mit mir einzulassen. Kein Hin und Her, keine Verhandlungen, bei denen ich etwas sage und dann er etwas sagt und wir zu einem Abschluss kommen, ob einvernehmlich oder nicht. Er stieß keine Drohungen aus, weder allgemeine noch spezielle. Er stand einfach da, runzelte die Stirn und wandte sich dann zum Gehen.
Im Empfangsbereich herrschte eine Totenstille, als die Tür, durch die Wilbur Durand verschwunden war, sich zischend schloss. Ich schaute mich um: Aus allen Gesichtern war die Farbe gewichen.
»O Mann«, sagte der Dienst Habende schließlich, »was zum Teufel war denn das? «
»Ich weiß es nicht«, hauchte ich. »Ich glaube, die Wissenschaftler arbeiten noch daran.«
»Viel Glück für sie«, sagte Spence.
Das zivile Fahrzeug kroch mit Spence am Steuer durch die
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